Finnisches Quartett
Gasse nach ihr umdrehten.
Mary hörte, wie das Telefon tutete. Auch das noch. War Ezrael so tief in seine Welt eingetaucht, daß er nicht einmal mehr ihr gehorchte? Oder ging es um irgend etwas anderes? Ezrael hatte doch nicht etwa einen eigenen Plan? Mary erschrak. Verstand der Bruder womöglich von alldem mehr, als sie glaubte? Und wie zum Teufel sollte sie in Ezraels Kirche gelangen, wenn sie von den Ermittlern des AIVD beschattet wurde?
24
Verteidigungsministerin Elisabeth Nordman zischte vor Wut und hämmerte auf die Tasten ihres Telefons in der Eteläinen Makasiinikatu. Als sie hörte, daß der Ruf herausging, schaute sie auf die Menschen, die über den Kasarmitori, den Platz vor dem Gebäude des Verteidigungsministeriums, eilten, und atmete ein paarmal tief durch, um sich zu beruhigen, aber dabei kam nur heraus, daß ihre Wut noch angefacht wurde. Dann meldete sich ihr Sohn. »Verdammt noch mal, Lasse, jetzt hast du aber den allerletzten …«
Lasse Nordman setzte sich auf die Bank im Flur seiner Zweizimmerwohnung in Töölö, hielt den Hörer weiter weg vom Ohr und wartete darauf, daß sich seine Mutter beruhigte. Er war darauf vorbereitet; sie hatte mehr Testosteron im Blut als die meisten Männer, zumindest mehr als sein Vater. Lasse hatte schon in seiner Jugend beschlossen, daß er nicht der zweite männliche Versager hintereinander in dieser Linie der Nordmans werden würde. Er ließ esnicht zu, daß der Wohlstand und ein leichtes Leben ein Schaf aus ihm machten, das nichts zustande brachte. Er würde Erfolg haben, auf Biegen oder Brechen.
»… der Ruf der ganzen Familie ist in Gefahr. Begreifst du überhaupt, was du getan hast?« Elisabeth Nordman unterbrach ihre Predigt, als ihr die Luft ausging.
»Meine Pflicht. Die Kriege von heute werden für Prinzipien und Werte geführt, dort, wo die Mißstände sind, nicht in Finnland …«, konnte Lasse schnell sagen.
»Erzähl nicht immer denselben Mist. Laut Presse und Polizei bist du ein Ökoterrorist. Begreifst du, was das für meine politische Zukunft und … für das ganze …«, die Verteidigungsministerin geriet so in Rage, daß sie kein Wort mehr herausbrachte. Sie starrte mit flammendem Blick auf das Bild von Präsidentin Tarja Halonen.
Lasse Nordman war überrascht, daß seine Mutter ihr eigenes Interesse erst in der zweiten Replik ihres Auftritts erwähnte. Er wußte ganz genau, wie es im Drehbuch danach weiterging.
»Ich brauche deine Hilfe«, sagte Lasse ganz ruhig.
»Meine Hilfe. Nach alldem hast du die Stirn, mich zu bitten …«, die Stimme der Ministerin stieg bis ins Falsett.
Das war jetzt der richtige Augenblick, mit der Streiterei aufzuhören, dachte Lasse. »Wenn du Druck auf die SUPO ausübst, so daß sie mich nach Holland läßt, werde ich alles tun, was ich kann, damit dir durch diesen … Zwischenfall möglichst wenig Schaden entsteht. Wenn du mir nicht hilfst, gebe ich jedem Journalisten, der es möchte, ein Interview und behaupte, du hättest die ganze Zeit gewußt, was ich bei Final Action mache.« Lasse Nordman brauchte nicht näher zu erläutern, was es für die Karriere seiner Mutter bedeutete, wenn er seine Drohung wahr machte.
In der Leitung blieb es stumm, während die Ministerin ihre Alternativen abwog. Es gab aber nur eine, also traf sieihre Entscheidung schnell. »Gut. Aber du verstehst sicher, daß auch ich keinen Einfluß auf das Rechtswesen habe. Schon bald wirst du im Gefängnis landen, Junge. Du mußt mit dieser … Sabotage aufhören. Hättest du mal angefangen, Militärgeschichte zu lehren, so wie du es vorhattest, dieses österreichische Mädchen …«
»Ich will nur Ulrike suchen«, log Lasse Nordman und beendete das Gespräch unhöflich. Er raffte mit beiden Händen die Post zusammen, die hinter der Wohnungstür auf dem Fußboden lag, und versuchte sich zu beruhigen. Mit allen Eigenheiten seiner Mutter konnte er irgendwie umgehen, nur eins ertrug er nicht: Sie verhielt sich zu Ulrike wie zu einer Hure. Doch Ulrike würde er nicht aufgeben, weder für seine Karriere noch für irgend etwas anderes, auch in seinem Leben mußte es etwas geben, das ihm heilig war. Die Sehnsucht weckte die Erinnerung an den Sandstrand von Candolim in Goa: Ulrikes nackter Körper und die Haut, die nach Salz schmeckte.
Lasse ließ sich in einen Korbstuhl fallen und spürte, wie ihn die Enttäuschung tiefer traf als je zuvor. Nach dem Pech in Den Haag und dem Mord an Gloria und Scott drohte die Zerstörung von Final Action. Es
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