Finnisches Quartett
an der Nase herumgeführt hatte.
Es dauerte eine ganze Weile, bis sich der Schlüssel endlich quietschend im Schloß der Garage drehen ließ, Lasse hob und senkte die Kipptür schnell. Zweihundertfünfzig Euro im Monat für dieses zwölf Quadratmeter große Loch – das war schon beinahe Wucher, aber wer etwas mit gefälschten Papieren mietete, sollte beim Preis nicht anfangen zu feilschen.
Schon bald surrte auf dem Schreibtisch, der so breit war wie die Stirnwand der Garage, der Computer, und Lasse suchte im Bücherregal die Mappe, die er brauchte. Nur der blanke Betonfußboden und die unverputzten Ziegelwände unterschieden die Garage von einem normalen Büro. Er fand das Gesuchte, setzte sich auf den Schreibtischstuhl, und sein Blick fiel auf die Worte von Alexsis Kivi, eingefaßt von einem billigen Glasrahmen:
»Früher, da führte man mit erhobener Faust und aufeinandergepreßten Lippen Krieg gegen seine Begierden, und Eisen wuchs im Männersinn; aber das heutige Geschlecht hat keine Willenskraft, es tanzt nach der Pfeife seiner Lüste.«
Er loggte sich ins Internet ein und schaute die Nachrichten in sechsunddreißig Briefkästen durch, bevor er fand, was er gesucht hatte: Seraphim hatte Kontakt aufgenommen, Lasse jubelte auf seinem Stuhl. Der virtuelle Bekannte aus Amerika konnte ihm möglicherweise wieder einmal helfen.
Die englischsprachige Nachricht war kurz. »Die Situation hat sich geändert. Der entscheidende Anschlag muß so schnell wie möglich ausgeführt werden.«
Widersprüchliche Gefühle erfaßten Lasse: Der Befehl, zu handeln, ließ das Adrenalin strömen, aber auch sein Gewissenregte sich. Ein Offizier mit Rückgrat hätte den entscheidenden Anschlag nicht akzeptieren, geschweige denn bei seiner Ausführung helfen dürfen. Doch es gab nur eine Alternative, und das war die Niederlage. Die Schande ging ihm durch den Sinn und die bange Frage, was Ulrike täte, wenn sie davon erfahren würde.
Plötzlich erinnerte sich Lasse an das Gesicht des dunkelhaarigen kleinen Mannes, das er in der Zentrale von Dutch Oil gesehen hatte, und fast wäre ihm eingefallen, woher er ihn kannte. Er wollte die Erinnerung schon am Schwanz packen, aber sie entschlüpfte ihm und verschwand wieder im Dunkel, sosehr er sein Gehirn auch anstrengte. Mit Seraphim hing es nicht zusammen, er wußte ja nicht einmal, wie der aussah.
Verblüfft spürte Lasse, wie er sich entspannte, obwohl ihm die Sorge um die verschollene Ulrike und die Zukunft von Final Action durch den Kopf ging. Jetzt wußte er zumindest, daß das Spiel weitergehen würde. Lieber würde er stolz in diesem Kampf fallen, als sein Leben mit belangloser Alltagsroutine zu verschwenden. Es würde sich zeigen, ob ihn ein genauso legendärer Sieg erwartete wie Oberst Siilasvuo im Winterkrieg an der Straße von Raate, wo die sowjetischen Divisionen dreiundzwanzigtausend Mann verloren und die Finnen nur achthundert. Oder ob er in die Geschichte als großer Verlierer eingehen würde wie Vizeadmiral Carl Olof Cronstedt, der den Russen die Festung Suomenlinna im Finnischen Krieg kampflos übergab. Lasse Nordmans Stimmung trübte sich, als ihm einfiel, daß sich Cronstedt am 3. Mai 1808 wie ein Feigling verhalten hatte. Heute war der 3. Mai.
25
Zuerst war auf der Wiese nichts zu sehen. Vollkommener Frieden und Harmonie umgaben Ezrael, er glaubte, endlich nach Hause gekommen zu sein. Dann tauchte am Horizont ein Punkt auf, der allmählich größer wurde, bis Ezrael zunächst einen Mann in Mönchskutte und dann noch eine andere Gestalt erkannte – den Engel der Offenbarung. Als die beiden wenige Meter entfernt an ihm vorübergingen, drehte sich Ezrael um und sah den Berg Croagh Patrick, den irischen Sinai. Ezrael wurde klar, daß der Engel der Offenbarung den Mönch auf den Berg geleitete, er glaubte, etwas äußerst Wichtiges verstanden zu haben.
Er wachte mit dem Gefühl auf, daß alles hellgrün war, setzte sich auf den Rand seines schmalen Bettes und kratzte sich andächtig. Die stachligen Kamelhaare halfen ihm, an das Vorbild Johannes, an den Auftrag und die Strafe zu denken, die den Sündern bevorstand:
»… und die Spreu wird er mit dem ewigen Feuer verbrennen.«
Johannes der Täufer und Ezrael der Rächer.
Ezrael hörte das schlaftrunkene Atmen des Engels der Offenbarung im Kirchensaal. Es war schon fast Mittag, nach dem Anruf des Boten waren sie noch einmal eingeschlafen. Jetzt würde der Nachmittag hektisch werden: Ezrael mußte dafür sorgen, daß sich
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