Finnisches Quartett
gab es jetzt auch andere Alternativen. Der Gedanke munterte ihn auf.
Jetzt galt es, die Beweise zu vernichten, Ketonen wusch also die Bratpfanne und seinen Teller ab, öffnete das Küchenfenster einen Spalt und nahm den Müllbeutel mit hinunter.
Auf dem Rückweg kehrten seine Gedanken zu den Ermittlungen und zu Lasse Nordman zurück. War das Leben im Wohlstands-Finnland tatsächlich so leicht und langweilig, daß talentierte und erfolgshungrige junge Leute sich unbedingt in Lebensgefahr begeben mußten, um ihren Charakter und ihre Grenzen auszutesten? Bergsteigen, Polarexpeditionen, mit dem Fallschirm von Felsvorsprüngen und Häusern springen … Oder im schlimmsten Fall Unternehmen in die Luft sprengen und sabotieren, so wie Lasse Nordman. In Ketonens Jugend hatte es als Herausforderunggenügt, den Alltag zu meistern und seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Plötzlich fiel Ketonen ein, daß Nordman darauf brannte, nach Holland zurückzukehren. Das machte ihn stutzig: Der Mann wirkte nicht gerade wie ein Romantiker, der seine Frau anbetete. Vielleicht erwartete Nordman in Amsterdam irgendeine Aufgabe … Oder außer Ulrike Berger noch jemand anders?
23
Jaap van der Waal betrachtete Andries van Eertvelts Anfang des 17. Jahrhunderts gemaltes Bild von virtuoser Schönheit: Ein holländisches Segelschiff trieb auf die Klippen zu. Auf dem Gemälde blieb das Schicksal des Schiffes offen, aber die Schaumkronen schienen zu zeigen, daß es unausweichlich dem Untergang geweiht war. Würde es ihm genauso ergehen?
Van der Waal saß in seinem Arbeitszimmer im Hauptgebäude von Dutch Oil in der Carel-van-Bylandt-Laan und drehte seinen Stuhl träge zu seinem Assistenten Pieter. Der AIVD hatte soeben die zwei Männer Pieters verhaftet, die den portugiesischen Aktivisten Oliveira vorgestern in Meijendel ermordet hatten. »Du wirst sicher verstehen, daß ich irgendwie darauf reagieren muß. Am besten entläßt du alle Sicherheitsleute und stellst statt dessen die doppelte Anzahl neu ein«, sagte van der Waal ganz ruhig, aber seine Stimme vibrierte vor Wut.
»Und ich?« fragte Pieter.
»Ich habe dem AIVD gesagt, daß du mein persönlicher Assistent bist. Allein stehe ich das ja nicht durch, du bist unersetzlich«, schmeichelte van der Waal Pieter und bedeutete ihm, das Zimmer zu verlassen. Pieter wußte zuviel, ja fast alles. Ihn würde er nie entlassen; wenn der Mann verhaftetwürde, müßte man ihn umbringen. Van der Waal hoffte, daß es nicht dazu kam, denn Pieter erledigte für ihn alle unangenehmen Dinge.
Er bemerkte, daß er die Stille genoß, und ärgerte sich, daß gleich wieder das ständige Hintergrundgeräusch, Ladys Gebell, zu hören sein würde, sobald der Hund vom Trimmen gebracht wurde. Van der Waal trat an den großen, niedrigen Tisch, stützte sich auf den Rand, beugte sich vor und vertiefte sich in das Panorama einer Seeschlacht, das ein Amsterdamer Historiker gebaut hatte. Nichts genoß er so sehr.
»Die Schlacht von Saldanha im Jahre 1781«, sagte van der Waal mit halblauter Stimme und betrachtete andächtig die Konstellation der Segelschiffsmodelle auf dem aus Holz und Plastik errichteten Panorama, das die Küste des heutigen Südafrika darstellte. Wie ein Augenzeuge konnte er sich in die Situation hineinversetzen, und mit einem langen Stab schob er die Schiffsmodelle geschickt hin und her.
Das mit Frankreich und Spanien verbündete Holland erklärt England den Krieg. Der Gouverneur von Kapland, Baron Joachim van Plettenberg, schickt sechs Schiffe der Niederländisch-Ostindischen Handelskompanie, die Hoogkarspel, die Middelburg, die Honkoop, die Paarl, die Dankbaarheid und die Held Woltemade, in die Saldanha Bay. Dort warten sie auf eine französische Geleitflotte, die sie nach Holland bringen soll.
Der Kommandeur der holländischen Flotte, Gerrit Harmeyer, erhält den Befehl, den Engländern seine Schiffe unter keinen Umständen zu überlassen. Die Kapitäne müssen ihre Schiffe zerstören, wenn die Gefahr besteht, daß sie dem Feind in die Hände fallen. Nur der Kapitän der Middelburg, Justinus van Gennep, trifft befehlsgemäß seine Vorkehrungen und läßt Pulver auf sein Schiff bringen.
Van der Waal streckte seine Hand aus, um aus einer silbernenStreudose schwarzen Pfeffer auf das Modell der Middelburg zu schütten.
Die von Admiral Pierre André de Suffre befehligte französische Geleitflotte ist noch auf dem Weg zu den Holländern, als sich eine von Commodore George Johnstone kommandierte Flotte
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