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Finnisches Quartett

Finnisches Quartett

Titel: Finnisches Quartett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Taavi Soininvaara
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die Düfte des Bloemenmarktes, an dem sie eben vorbeigegangen war, dann vermischten sie sich mit dem öligen Geruch der Lastkähne, die Getreide und Kohle transportierten. Von den gestrigen Regengüssen waren nur noch ein paar Pfützen auf dem Asphalt übriggeblieben, heute schien die wärmende Sonne wieder.
    Wie zum Teufel sollte sie zu Ezrael gelangen? Ihr Gehirn lief auf Hochtouren, aber es kam nichts dabei heraus. Mary zündete sich eine Zigarette an, in der Regel beflügelte das ihr Denken. Eben hatte sie Ezrael zum zweitenmal angerufen, doch diesmal klang ihr Bruder noch verwirrter als vor etwa zwei Stunden; Ezrael weigerte sich immer noch, Ulrike Berger, die er als »Engel der Offenbarung« bezeichnete, zu töten und die Ausführung des Auftrags abzubrechen. Sie mußte ihren Bruder wieder unter Kontrolle bringen. Allein war sie keinesfalls imstande, van der Waal zur Zahlung des Honorars oder zumindest eines Teiles zu erpressen. Und sie brauchte Ezrael auch als Leibwächter für den Fall, daß van der Waals Männer versuchen sollten, sie umzubringen. MarysHaß loderte in hellen Flammen, am liebsten hätte sie alles andere liegengelassen und wäre zu van der Waal hinmarschiert, um das Schwein zu erschießen, damit es wieder in demselben Koben landete, aus dem es hervorgekrochen war.
    Ein junges Paar auf einem Tandem kam Mary fröhlich lächelnd entgegen; der dunkelhaarige große Mann auf dem hinteren Sitz erinnerte sie an Fergus, und das brachte noch mehr düstere Gedanken mit sich. Wenn die Selbstverwaltung gestärkt und Nordirland niemals ans Mutterland angeschlossen werden würde, waren Fergus und Tausende vor ihm umsonst gestorben. In all den Jahrhunderten. Mary fürchtete, daß es einfach zuviel geworden war, worüber sie zu wachen hatte: Van der Waal mußte unbedingt für die Morde an den Physikern zahlen, die Wahre IRA brauchte das Geld jetzt dringender als je zuvor.
    Plötzlich hörte Mary hinter sich das Hupen eines Autos und sofort danach das schrille, rhythmische Warnsignal eines LKWs im Rückwärtsgang. Sie sah, wie ein großer Laster, auf dem für Grolsch-Bier geworben wurde, die schmale Einbahnstraße am Ufer des Kanals völlig blockierte, der Volvo des AIVD saß hinter ihm fest.
    Im gleichen Augenblick heulte irgendwo in der Nähe der Motor eines Autos auf, Mary drehte sich um und sah relativ weit vor sich einen schwarzen Transporter, der direkt auf sie zuraste. Jetzt passierte es, van der Waals Männer schlugen zu. Mary wandte sich um und rannte auf den Bierlaster und die Männer des AIVD zu. Wollte van der Waal sie sofort umbringen oder erst, wenn er die Adresse von Ezraels Versteck aus ihr herausgeholt hatte? Sie erhöhte ihr Tempo und warf einen Blick über die Schulter: Der schwarze Transporter kam mit hoher Geschwindigkeit immer näher. Sie spürte das Hämmern ihres Pulses im ganzen Körper und Gallegeschmack im Mund.
    Ihre Schuhe klopften beim Rennen auf den Asphalt wie ein wildgewordenes Metronom, bis zu dem Grolsch-Laster waren es über hundert Meter, und das Geräusch des Transporters hinter ihr wurde immer lauter. Sie würde es auf keinen Fall schaffen. Das Adrenalin ließ ihre Gedanken fliegen … Hausboote am Kanalufer … die nächste Brücke Hunderte Meter weit weg … der Kanal nicht breit … nur ein paar Dutzend Meter …
    Mary wandte sich in vollem Tempo dem Kanal zu, sprang über die flache Reling an Deck eines rotschwarzen Hausbootes und hörte hinter sich, wie die Reifen des Transporters quietschten. Sie stützte sich am Kajütendach ab, lief über die Planken des schmalen Bootsdeckes zur anderen Seite des Kahnes und stieß dabei Blumenkörbe um. Wenn sie sich über die Reling schwang, würde man sie im Wasser erschießen. Plötzlich sah sie, was sie suchte – ein Ruderboot. An den meisten Wohnschiffen war mit einem Seil ein Ruderboot befestigt, und am Heck dieses Bootes hing sogar noch ein kleiner Außenbordmotor. Sie machte das Seil am Bug los und stieß das Boot ab. Als Mary an der Reißleine des Motors zerrte, tauchte van der Waals Gehilfe Pieter auf dem Hausboot auf. Auch der vierte Versuch schlug fehl. Verdammter Motor.
    Mary griff zum Paddel und sah gleichzeitig, daß Pieter etwas unter seinem Mantel hervorholte. Das wacklige Boot schaukelte, während Mary wie wild paddelte, um den Abstand zu ihrem Verfolger zu vergrößern. Ihre Arme schmerzten.
    Pieter brachte eine Maschinenpistole in Anschlag, und Mary hörte auf zu paddeln. Sie starrte auf den Lauf der Waffe, die

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