Finnisches Quartett
Erinnerungen an seine letzten Dienstreisen ins Ausland spukten ihm nun so intensiv durch den Kopf, daß er beschloß, alles aus seinem Gehirn zu verbannen, was mit der Arbeit zusammenhing.
Der Schweiß schmeckte salzig, und die Muskelspannung ließ nach, aber alle frohen Dinge machten einen großen Bogen um sein Gehirn. Ratamo grämte sich, denn Nelliblieb schon wieder in der Obhut von Marketta Ketonen. Und es bereitete ihm auch Sorgen, daß er nicht wußte, ob er Riitta überhaupt treffen wollte. Seit dem Umzug seiner ehemaligen Lebensgefährtin nach Holland war bald ein Jahr vergangen, und nach der gemeinsamen Urlaubswoche im letzten Sommer hatten sie überhaupt keinen Kontakt gehabt. Er dirigierte mit seiner Aufgußkelle den Chor der Steine auf dem Saunaofen und räkelte sich genüßlich.
Als nächstes schweiften seine Gedanken zur Krankheit von Tapani ab und dann zu seiner privaten kriminalistischen Arbeit. Er wurde wütend und nahm sich vor, einen unangenehmen Tagesordnungspunkt sofort abzuhaken und die Stiefschwester seiner Mutter jetzt gleich anzurufen. Wenn Irene Tuomarila nichts von seinem biologischen Vater wußte, gerieten seine Ermittlungen in die Sackgasse, und er würde die ganze Sache einfach vergessen. Während der letzten Aufgüsse und der heißen Dusche überlegte er, wie er sein Anliegen am besten vorbringen sollte.
Nachdem er das Saunabier entkorkt und sich zwei Prieme unter die Lippe geschoben hatte, tippte Ratamo die Nummer in sein Handy ein und spürte, wie sich die Spannung verdichtete. Er konnte sich nicht erinnern, jemals mit seiner Stieftante gesprochen zu haben; soweit er wußte, kannte er Irene nur von Schwarzweißbildern aus der Jugendzeit. Und was geschah, wenn ihm die Frau, ohne viel zu überlegen, den Namen seines Vaters um die Ohren haute oder …
»Irene Tuomarila.« Eine schwache Stimme unterbrach Ratamos Gedankengang und führte ihn blitzschnell in seine Kindheit. Das bildete er sich nur ein, es war nicht möglich, daß er sich erinnerte, wie die Stimme der Mutter geklungen hatte.
Ratamo nannte seinen Namen, erhielt als Antwort aber nur ein Rauschen. »Also, äh, das hört sich möglicherweiseein wenig seltsam an, aber ich versuche herauszufinden, wer mein richtiger Vater ist … also, mit wem meine Mutter eine Beziehung hatte, als ich geboren wurde … Oder genauer gesagt kurz vor meiner Geburt. Ein Jahr vor …«
»Das hast du armer Junge jetzt erst herausbekommen?« Irene Tuomarila hörte sich überrascht an. »Ich wußte von Anfang an, daß Tapani Ratamo niemandem Gutes bringen würde. Daran ist auch unsere Freundschaft, also die von mir und deiner Mutter, in die Brüche gegangen. Ich habe Tapani Ratamo nicht akzeptiert und das deiner Mutter auch direkt gesagt.«
»Warum? Was hat Vater … also Tapani gemacht?«
Irene Tuomarila schwieg. »Deine Mutter war auf keinen Fall irgendein leichtes Mädchen, aber kurz vor Tapani Ratamo hatte sie eine ernsthafte Beziehung. Aber es ist sinnlos, wenn du Vergangenes ausgräbst …«
»Ich will es aber wissen. Haben nicht auch adoptierte Kinder das Recht, die Namen ihrer biologischen Eltern zu erfahren?« Ratamo ließ nicht locker.
Eine Weile hörte man nur Irene Tuomarilas ruhiges Atmen. »Die Beziehung hat nicht lange gedauert, ich weiß nicht einmal den Namen des … Mannes. Er hat in der französischen Botschaft gearbeitet, mehr hat deine Mutter nicht erzählt«, sagte Irene.
»Der Mann war aber doch wohl Finne?« Ratamo erschrak, als er hörte, daß in seinen Adern französisches Blut fließen könnte.
»Ich habe seine Stimme einmal am Telefon gehört. Er hat finnisch gesprochen.«
Ratamo unterhielt sich mit seiner Stieftante noch ein paar Minuten, führte das Gespräch aber dann zu einem Abschluß, als ihm klar wurde, daß er nicht mehr aus Irene herausbekommen würde.
Nicht einmal das mit dem Senf vermischte Fett der Grillwürstekonnte die Überraschung dämpfen, die diese neuen Informationen ausgelöst hatten. Ob wohl jemand in der französischen Botschaft wußte, welche Finnen dort in den sechziger Jahren gearbeitet hatten?
27
Die Klingel eines Radfahrers schrillte auf der Uferstraße am Singel-Kanal. Mary erschrak, ihr Herz raste. Sie schaute sich um und sah, daß der silbergraue Volvo des AIVD ihr in zweihundert Meter Entfernung langsam folgte. Jetzt wußte sie immerhin, wie der Nachrichtendienst sie im Auge behielt. Um das herauszufinden, hatte sie ein paar Stunden gebraucht. Mary spürte in der Nase immer noch
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