Finnisches Quartett
würde es gewiß nicht übers Herz bringen, auf Musti zu verzichten. Aber wenn er dazu gezwungen war … Irgend etwas mußte ihm einfallen. Auch eine andere unangenehme Sache geisterte ihm durch den Kopf: Er mußte sein Arbeitszimmer ausräumen. Im Laufe der Jahre hatten sich solche Unmengen von Papierkram, Geschenken und anderen Utensilien angesammelt, daß diese Arbeit Tage dauern würde. Er hatte aber nur noch anderthalb Wochen Zeit, dachte Ketonen verärgert. In dem Augenblick ertönte der Summer an der Tür.
Die künftige Chefin der SUPO betrat den Raum. Zu ihrem Glück hatte man 1896 so hohe Türen gebaut, daß ihre Frisur, eine Art Eiffelturm, hindurchpaßte, ohne umgeknickt zu werden. Heute schien ihr schwarzes Kleid mehr für ein Begräbnis geeignet zu sein als für die Arbeit, überlegte Ketonen und wurde wütend auf sich. Was zum Teufel sollte das, wieso mäkelte er an der Frau herum, sie machte als Chefin einen resoluten Eindruck, und alles andere war egal.
Ulla Palosuo setzte sich, der Frust war ihr anzusehen. »Wir bekommen einfach nicht heraus, wohin Lasse Nordman gestern verschwunden ist. Die Taxifahrer und die Mitarbeiter der öffentlichen Verkehrsmittel gehen wir natürlich alle durch, aber was ist, wenn er im Zentrum geblieben ist?«
Ketonen nickte. »Nordman muß irgend etwas wirklich Wichtiges zu tun gehabt haben, da er sich solche Mühe gemacht hat abzutauchen. Wenn der Grund dafür gefunden wird, gäbe das den Ermittlungen neuen Schwung.«
In dem Gespräch trat eine Pause ein, als Musti gähnend aufstand, sich räkelte und dann beschloß, einen Imbiß zu nehmen.
Ketonen warf der alten Hündin einen Keks zu, stopfte sich selbst ein paar in den Mund, um ihr Gesellschaft zu leisten, und schob die Hände unter die Hosenträger. »Hastdu den Bericht über unseren Mörder Eamon O’Donnell gelesen? Der ist doch bestens geeignet als Schwiegersohn, oder?« frotzelte Ketonen.
Ulla Palosuo, die fünf Töchter hatte, grinste. »Sadist. Der Mann hat sich ernsthaft Gedanken gemacht, wie er seinen Opfern möglichst großen Schmerz zufügen konnte. Das beweist auch das Herumfuchteln mit dem Schwert am World Trade Center. Das ist die abartigste Kreatur, von der ich je gehört habe. Aus welchen Löchern kriechen die bloß hervor?«
Ketonen beugte sich vor, um Musti noch einen Keks zu geben. Ulla Palosuo war schon im Begriff zu gehen, als Ketonen antwortete: »Daß es Psychopathen gibt, sagt ziemlich viel über den Zustand dieser Gesellschaft aus. Etliche der für Psychopathen typischen Charakterzüge sind heutzutage tolerierte, wenn nicht gar geschätzte Eigenschaften: Egoismus, Oberflächlichkeit, fehlendes Einfühlungsvermögen, das Manipulieren von Menschen und die Idealisierung des Äußeren. Es ist also kein Wunder, daß die Psychopathen imstande sind, unter den gewöhnlichen Sterblichen zu leben, ohne aufzufallen. Am leichtesten taucht ein Psychopath angeblich im Geschäftsleben, in der Politik und sogar bei der Polizei unter, wo die harten Werte besonders gefragt sind.« Ketonen klopfte mit dem Finger auf die Papierstapel, die seinen Schreibtisch bedeckten.
Ulla Palosuo sah verblüfft aus. »In Finnland gibt es doch keine Psychopathen … Oder zumindest keine echten Serien …«
»Die gibt es überall. Nach Auffassung dieses …«, Ketonen hob den Bericht hoch, den er aus Holland bekommen hatte, und setzte die Lesebrille auf, »… dieses holländischen Kriminalpsychologen ist von zweihundert Menschen einer ein Psychopath, und nur ein kleiner Teil davon sitzt in Gefängnissen.«
Die Miene der Frau verriet, daß sie von diesem Gedanken erschüttert war. »Es erscheint ziemlich glaubhaft, daß die intelligentesten und begabtesten Psychopathen als letzte gefangen werden.«
»Und die schlimmsten«, fügte Ketonen hinzu. »Glaubst du übrigens, daß an dem Hinweis auf Dexter etwas dran ist?«
»Nein. Die Politiker der Yankees gehen in den Energiefragen außerdem so seltsame Wege, daß im Energieministerium die Leiter garantiert alle KASH-Leute sind«, stellte Ulla Palosuo fest und betrachtete Ketonens Miene. »Schwein muß man haben«, antwortete sie auf die unausgesprochene Frage.
Ketonen dachte einen Augenblick über ihre Bemerkung nach. »Die Amerikaner haben natürlich ein extrem starkes Motiv, die Entwicklung des Fusionsreaktors zu bremsen. Die Weltherrschaft der USA beruht auf dem gegenwärtigen Wirtschaftssystem. Und das wiederum würde sich wesentlich ändern, wenn Energie kostenlos
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