Finnisches Quartett
unbegreiflich, daß Ulrike für einen Augenblick überlegte, ob der Mann eine der beiden Rollen nur spielte.
Ezrael ging ins Treppenhaus, wo er mit seinem Mobiltelefon eine Verbindung ins Netz bekam, rief den Flughafen Schiphol an, erkundigte sich, wann die nächste Maschine nach Washington flog, und erfuhr, daß vier Flüge auf dem Plan standen. Er entschied sich für die amerikanische Fluggesellschaft United Airlines, weil er hoffte, besser durch die strenge Einreisekontrolle der Yankees zu kommen, wenn er sich unter amerikanischen Passagieren befand. Man sagte ihm, in der Maschine sei noch reichlich Platz, also buchte Ezrael einen Flug in der Touristenklasse und gab der Angestellten die Nummer seines Passes durch und die anderen gewünschten Informationen.
Als der Plan fertig war, bereitete sich Ezrael sorgfältig auf einen langen Besuch in der Welt des Bösen vor. »Unter den Sündern muß man sich verhalten wie die Sünder, unter den Sündern …«, murmelte er immer wieder, während er den Inhalt seines Rucksacks ordnete.
Ulrike glaubte nicht mehr, daß sie sterben würde, aber irgend etwas mußte Ezrael ja mit ihr anstellen. Das sorgte für eine neue Welle der Angst, die ihren Puls wieder beschleunigte. Würde er sie betäuben?
Die Antwort kam im selben Augenblick: Ezrael blieb vor ihr stehen und schwenkte ein Paar Handschellen
»Du, ich stehe das hier nicht durch ohne Essen und Trinken …«, bat sie eindringlich, als Ezrael schon die Handschellen befestigte. Die Freude über die bevorstehende Freiheit verwandelte sich augenblicklich in Todesangst. Sie hatte das selbst verursacht, niemand würde sie hier finden.
Ezrael fesselte den Engel der Offenbarung an das Metallgitter vor der Öffnung in der Wand, hinter der die Dunkelheit lauerte. Ein Bild vom Kellerloch tauchte blitzartig vor ihm auf, aber jetzt hatte er die Kraft, diese Erscheinung zu verdrängen. Diesen Keller hier würde er nicht vermissen.
Er ließ Wasser in Plastikflaschen laufen, stellte sie in einer Reihe neben dem Engel der Offenbarung auf und holte irgendwoher einen Stapel Trockenproviant. »Der zweite Bote darf nicht sterben. Das wird der Engel des Zorns nicht zulassen. Schrei nicht um Hilfe, das ist umsonst, deine Rufe sind nicht einmal bis ins Treppenhaus zu hören.«
Ulrike hob ihre gefesselte Hand. Solche Handschellen hatte sie noch nie gesehen: Ihre Doppelschlösser schienen, nach der Farbe zu urteilen, mit Titan verstärkt worden zu sein, und die Ketten waren über einen Zentimeter dick. Die Panik erfaßte ihren ganzen Körper: Sie hatte einen Verrückten losgeschickt, einen Mord zu begehen, und würde selbst in einem dunklen, kalten Keller sterben.
34
Draußen goß es in Strömen, und Jussi Ketonen ächzte. Wegen der Feuchtigkeit streikte sein Rücken. Er verstand nicht, wie das möglich war, warum nur verhielt sich sein Bandscheibenvorfall wie Gicht. Der Chef der SUPO versuchte sein linkes Bein auf den dunkelroten Tresor in seinem Arbeitszimmer zu legen, aber der Bauch war im Wege, und er konnte das Bein nicht so weit hochheben. Seine Taille hatte sich durch Markettas Gemüsekur überhaupt nicht verschlankt. Ketonen fluchte vor sich hin, schaute auf die Uhr und war vollends bedient, als er sah, daß es bis zum Mittagessen noch Stunden dauern würde.
Er war ohnehin schon stinksauer. Marketta hatte ihm gleich am frühen Morgen den ganzen Tag mit einer Neuigkeit verdorben, die wie ein Hammer einschlug: Seine Frau litt unter einer Hundeallergie. Ketonen konnte absolut nicht begreifen, wie es möglich sein sollte, daß eine über sechzigjährige Frau erst jetzt von ihrer Allergie erfuhr. Marketta freilich fand das gar nicht so unerklärlich, denn sie wohnte nun das erste Mal in ihrem Leben in einem Haushalt mit einem Hund.
Ketonen schaute zu Musti hin, die vor dem Kachelofen schnarchte. Jahrelang war sie seine Familie gewesen, in der Zeit nach dem Tod Hilkkas, bis er Marketta kennengelernt hatte. Das alte Fräulein würde keine großen Erschütterungen mehr vertragen und sich auch kaum an ein neues Herrchen gewöhnen können. Ketonen wollte Musti auch deswegen einen ruhigen Lebensabend verschaffen, weil der Hund schon in seiner ersten Familie bei einem Orthopäden und Säufer, der ihn mißhandelt hatte, Schweres durchmachen mußte. Und auch das Tierheim war vermutlich nicht gerade der Wunschtraum eines Hundes gewesen.
Wer wäre so verrückt, sich einen altersschwachen Hundauf den Hals zu laden, überlegte Ketonen. Doch er
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