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Finnisches Quartett

Finnisches Quartett

Titel: Finnisches Quartett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Taavi Soininvaara
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abgehenden Flügen zu starren. Jetzt verwendete er einen Paß, der auf den Namen Aidan Cahill ausgestellt war.
»Ihr werdet mich suchen und nicht finden; und wo ich bin, könnet ihr nicht hinkommen.«
In jeder Belfaster Behörde arbeiteten Anhänger der IRA, somit brauchten die Republikaner nie Führerscheine und Pässe zu fälschen. Es würde nicht einmal schaden, wenn man ihm auf dem Flughafen in den USA die Fingerabdrücke abnahm, damit würde niemand irgendwelche Informationen über ihn finden, in keinem einzigen Register.
    Er setzte sich auf einen Plastikstuhl mitten im Menschengewimmel der Wartehalle, schloß die Augen und holte aus der Dunkelheit in seinem Kopf die Kraft, um die Zeit unter den Sündern zu überstehen. Er würde das Böse aus Washington vertreiben wie einst der heilige Patrick die Schlangen aus Irland. Vielleicht hätte er vor dem Johannistagnoch Zeit, vierzig Tage und vierzig Nächte auf dem »irischen Sinai«, auf dem Gipfel des Berges Croagh Patrick, zu fasten und den Untergang der Sonne im Atlantik zu betrachten. Das hatte der heilige Patrick im Jahre 441 getan. Vielleicht würde das Ezraels letzter Auftrag sein.

36
    Sie würde sterben, alles war umsonst gewesen, sie konnte nicht fliehen. Der von Jaap van der Waal bezahlte Killer blieb im trüben Licht des feuchten Kellers vor Ulrike stehen, zog die Waffe aus seinem Achselhalfter und brachte einen Schalldämpfer an, ihre Schreie kümmerten ihn nicht. Ulrike flehte, betete und weinte, aber das kalte Metall wurde auf ihre Stirn gedrückt.
    Ihr Schrei hallte von den nackten Kellerwänden wider. Ulrike erwachte und bemerkte, daß sie sich die Lippen blutig gebissen hatte. Wieder war sie eingenickt. Müdigkeit und Todesangst rangen in ihr miteinander, sie spürte den Geruch ihres eigenen Schweißes, und der Schmerz brannte am Handgelenk, an dem die Handschellen hingen. Als sie ihre Hand bewegte, riß der Schorf, der sich auf den Wunden gebildet hatte, und ein warmes Rinnsal lief bis auf den Arm. Vermutlich hatte sie schon stundenlang mit den Handschellen gekämpft; seit Ezrael gegangen war, schien eine Ewigkeit vergangen zu sein. Die Vorstellung, daß die nackte Glühlampe herunterfallen und klirrend zerschellen könnte und sie in einem stockdunklen, feuchten Keller verhungern müßte, brachte die Panik zurück.
    Sie schaute auf das tiefschwarze Loch über dem Fußboden und hörte hinter dem Eisengitter ein Rascheln. Ratten. Ulrike dachte an Lasse, um sich zu beruhigen, endlich einmal brachte die Sehnsucht eine Erleichterung. In EzraelsGesellschaft hatten die Angst und der Überlebenstrieb die anderen Gefühle erstickt, aber jetzt kehrten sie zurück. Ulrike sehnte sich so sehr nach Lasse, daß es schmerzte. Sie mußte es einfach versuchen …
    Ohne Rücksicht auf die Schmerzen zerrte Ulrike an dem Metallring der Handschellen, um ihn von dem Gitter loszubekommen. Die Wunden öffneten sich, und ihre Handfläche wurde feucht vom Blut, aber das Gitter lockerte sich nicht einen einzigen Millimeter. Ihre Kräfte schwanden schnell, sie mußte sich ausruhen. Der Schmerz klopfte im ganzen Körper. Sie steckte sich ein Stück vom Trockenproviant in den Mund, streckte die Hand nach den aufgereihten Flaschen aus und trank gierig das warme Wasser, das nach Kunststoff schmeckte.
    Ezrael mußte aufgehalten werden. Ulrike konnte immer noch nicht richtig begreifen, daß sie einen Wahnsinnigen losgeschickt hatte, um zu töten, das widersprach allem, woran sie glaubte. So leicht gab sie ihre Grundsätze auf, wenn ihr eigenes Leben in Gefahr war?
    Als ihre gefesselte Hand nicht mehr gefühllos war, kniete sie wieder und zerrte mit der freien Hand an dem eisernen Gitter, das ins Dunkel wies. Ihr ganzer Körper schwang mit in dem Takt, in dem sie immer wieder zog und sich dabei auf dem rauhen Betonfußboden die Knie blutig scheuerte. Der Schmerz strahlte bis in die Haarwurzeln aus, aber das Gitter rührte sich nicht. In ihrer Reichweite befand sich nicht ein einziges brauchbares Hilfsmittel, auch die Holzstücke, die auf dem Fußboden herumlagen, zerbröckelten in ihren Händen. Urplötzlich brach sie in Tränen aus, das Geräusch, das aus ihrem Mund kam, klang wie das Geheul eines Tieres, die Verzweiflung lähmte sie, und die Dunkelheit des Kellerlochs schien sie aufzusaugen.
    Doch dann regten sich ihr Kampfgeist und ihre Zähigkeit, sie lag hier herum und jammerte, obwohl sie imstandewäre, mit dem, was sie wußte, Menschenleben zu retten. Sie mußte sich

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