Finnisches Quartett
sich vergewissert hatte, daß er allein war, holte er aus seinem Rucksack eine Tube Gel, drückte die schwarze Paste auf die Handfläche und rieb sie in die Haare, dann kämmte er sie, bis sie schwarz waren. Das verlieh seinen Zügen mehr Härte. Im Spiegel starrte ihn ein modisch gekleideter junger Mann an, dessen Lächeln so ansteckend war wie Lepra, er würde sich vor Verlockungen hüten müssen. Ezrael fuhr zusammen, als er plötzlich die Faust des Soldaten vor sich sah, dann erschien die Narbe des Engels der Offenbarung, und ein seltsames Gefühl ergriff ihn, als er für einen flüchtigen Augenblick begriff, daß auch das kleine Mädchen mit den roten Haaren in seiner Kirche getötet worden war. Die Veränderung begann immer so: Die Erinnerungen und Gefühle Eamons kehrten zurück. Er steckte die Tabletten in den Mund und beugte sich über den Wasserhahn.
Er drückte die runde, silberfarbene Brille auf seine Nase, die Verwandlung war vollendet. Dann zwängte er sich in die einzige WC-Kabine der Toilette, deren Schloß natürlich nicht funktionierte. Ezrael holte aus seinem Rucksack zwei Handfeuerwaffen heraus, ein Schmetterlingsmesser und alles andere, was nicht zur Reiseausrüstung eines ganz normalen nordirischen Studenten gehörte, und stopfte die Sachen in einen Plastikbeutel. Plötzlich wurde die Tür aufgerissen, und ein Lockenkopf mittleren Alters, anscheinend ein Geschäftsmann, starrte Ezrael verblüfft an, die eine Hand schon am Hosenstall.
Der Mann öffnete den Mund, und im selben Augenblick traf ihn der Ellbogen an der Stirn und nahm ihm das Bewußtsein. In Ezrael leuchtete das Rot auf, Macht verpflichtete. Die Bestie schrie so heftig nach Blut, daß Ezrael sichauf die Zunge biß, um sich zu beruhigen. Nur Verräter durfte man umbringen, befahl sich Ezrael und schlug dem am Boden liegenden Eindringling zweimal mit der Faust auf den Hinterkopf. Der Mann würde das überstehen, käme aber erst zu Bewußtsein, wenn Ezrael schon weit weg war, außerdem würde er sich wahrscheinlich nicht sehr genau an das Geschehene erinnern.
Der Espresso blieb unberührt stehen, während Ezrael durch das Café zurück mitten ins Herz der Sünde ging. Sein Blick traf auf das enge T-Shirt einer jungen Frau, unter dem sich die Brustwarzen abzeichneten. Er wandte den Kopf so vehement ab, daß sein Genick schmerzte. Im Erdgeschoß wartete Ezrael darauf, daß die Telefonzelle frei wurde. Das Mobiltelefon würde er von jetzt an nur noch im Notfall benutzen. Ein alter Mann im Wintermantel schwatzte unaufhörlich, ohne auch nur eine Spur von Eile zu zeigen, Ezraels Puls beschleunigte sich. Er führte einen Auftrag des Allerhöchsten aus, und niemand hatte das Recht, ihn aufzuhalten, Hindernisse würde er aus dem Weg … Sein Gedankengang wurde unterbrochen, als der alte Mann endlich mit schlurfenden Schritten verschwand. Ezrael rief auf dem Flughafen an und vergewisserte sich, daß die Buchung in Ordnung war.
Er trat hinaus auf die Nieuwezijds Voorburgwal-Straße, ging nach rechts in Richtung Königsschloß, wo sich die Touristen drängten, und dann auf der Mozes-en-Aaron-Straat zur Damrak-Straße. Unterwegs holte er den Plastikbeutel aus dem Rucksack und stopfte ihn tief in einen Müllbehälter, der vor Fastfoodverpackungen und Bierbüchsen überquoll. Die Wärme des Tages trieb ihm den Schweiß auf die Stirn.
Das Easy-Internetcafé fand sich auf dem Weg zum Bahnhof. Ezrael kaufte eine Stunde Zugangszeit und suchte einige Informationen, die er sofort nach seiner Ankunft in WashingtonD. C. brauchen würde. Die meisten Vorkehrungen für die Dexter-Rache waren getroffen, für den Rest würde er vor Ort genug Zeit haben. Noch machte er sich keine Sorgen, wie er alle erforderlichen Ausrüstungsgegenstände beschaffen sollte, der Allerhöchste sorgt für die Seinen.
Die rote Ziegelfassade des Hauptbahnhofs im Neorenaissance-Stil sah aus, als hätte man sie mit Blut gestrichen. Hier gab es alles, was das Leben jener, die den Verrätern glichen, zu bieten hatte: Drogen, Huren, Musik … Er kaufte an einem gelben Automaten eine Fahrkarte und fand einen Platz in einem Wagen, in dem nur ein junger Geschäftsmann saß, der in seine Zeitung vertieft war. Sloterdijk, Lelylaan … Die Stationen huschten schnell vorbei. Unter den Sündern wie die Sünder …
Der Zug kam unter dem Schiphol-Plaza an. Ezrael stieg hinauf in das gewaltige Foyer des Flughafens und stellte sich mitten im Menschengewimmel hin, um auf die Tafel mit den
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