Finnisches Quartett
der holländischen Polizei. Als er über die Dinge nachgedacht und sie richtig eingeordnet hatte, fühlte er sich sofort viel ruhiger.
So flau im Magen war ihm vor einem Treffen mit einer Frau seit seinem letzten Besuch bei der Zahnärztin Kälviäinen nicht mehr gewesen, die in den siebziger Jahren in Rente gegangen war. Seine Zunge glitt in das Loch zwischen den Backenzähnen links unten, hier hatte die gefürchtete Schulzahnärztin der Unterstufenjahre ihre Spuren hinterlassen. Ratamo spürte den Seewind kühl auf der Haut, obwohl die Sonne wärmte.
Er schaute auf die Uhr, ging in Richtung Haven-Restaurant,am protzigen Hotel Kurhaus vorbei, das mehr einem Königsschloß glich als einem Hotel. Bei seinen Urlaubsreisen wohnte er meist in Herbergen oder Hotels mit einem Stern, weil er seine Zeit ohnehin nicht im Zimmer verbrachte. So blieb mehr Geld fürs Essen und Trinken. Urplötzlich tauchte eine angenehme Jugenderinnerung an eine Nacht in einer Jugendherberge in Rom auf: ein Schlafsaal für zwanzig Personen und ein norwegisches Mädchen, das keinen Slip trug.
Er wunderte sich immer noch, daß Riitta angerufen und ein gemeinsames Mittagessen vorgeschlagen hatte und sich dabei auch noch überraschend enthusiastisch angehört hatte. Die Zeit seit dem letzten Treffen hatte aus Ratamos Gedächtnis viele Erinnerungen, die mit Riitta zusammenhingen, herausgefiltert, allerdings nicht die Kräutertöpfe auf dem Fensterbrett, die schrecklichen italienischen Schlager, die schwarzen BHs mit Spitze …
Ratamo fuhr sich durch seine kurzen dunklen Haare, damit sie einigermaßen ordentlich aussahen, fluchte, daß er sich am Morgen rasiert hatte, und betrat das Haven-Restaurant genau um drei Uhr. Er schaltete sein Telefon aus, als er auf einem Schild ein Handy-Verbot entdeckte. Riitta wartete schon am Tisch. Sein Blick ertrank in ihren dunklen Augen, und um ein Haar hätte er ihr die Hand gegeben, zum Glück fiel ihm noch im letzten Moment ein, ihr einen leichten Kuß auf die Wange zu drücken. Sie saßen schweigend da und warfen abwechselnd einen Blick auf den anderen und das schöne Hafenpanorama.
»Ober«,
Riitta machte den vorbeieilenden Kellner auf sich aufmerksam.
»De kaart, alstublieft.«
Der höfliche Kellner brachte die Speisekarten und fragte nach den Aperitifs. Die Finnen bestellten beide Mojitos, wie bei ihrer einzigen gemeinsamen Auslandsreise nach Barcelona. Dann kehrte das Schweigen zurück und wurde immerdichter. Nur ihre Blicke, die sich dann und wann trafen, sprachen. »Was schmeckt hier gut?« fragte Ratamo schließlich und unterbrach damit das Spiel der Augen.
»Fisch ist wohl das typisch Holländische, wenn man so etwas unbedingt suchen will. Eine eigene holländische Küche gibt es eigentlich nicht, dieses Land hat so viele alte Kolonien und große Nachbarn«, sagte Riitta. Sie studierten eine Weile die Speisekarte und bestellten schließlich beide das gleiche: Krabbenkroketten und als Hauptgericht gebratenen Dorsch. Die Wahl des Weins blieb aus alter Gewohnheit Ratamo überlassen. Sie wurde erschwert, da sich auf der Liste nur ein Bourgogne-Rotwein fand. Der Mercurey 1er Cru Les Champs Martins kostete mehr als ein langer Abend in der Stadt. Aber es war der einzige Rotwein, der leicht genug war, daß man ihn zum Fisch trinken konnte, also beschloß Ratamo, nicht zu knausern, und bestellte die Flasche.
Riitta fragte nach Nelli und plauderte über dies und jenes, und Ratamo hatte plötzlich das Gefühl, als hätten sie sich gestern erst getroffen. Verblüfft stellte er fest, wie gut er immer noch die Körpersprache seiner ehemaligen Lebensgefährtin und den Tonfall ihrer Sprache interpretieren konnte. Immer wenn etwas Riitta nervös machte, redete sie unaufhörlich, drehte die Spitzen ihrer langen nußbraunen Haare zwischen den Fingern und neigte den Kopf nach links wie ein schüchternes kleines Mädchen. Irgend etwas lag Riitta auf der Seele, das war sicher. Als der Kellner die Aperitifs brachte, hob Ratamo sein Glas, überlegte, was er sagen sollte, und aus seinem Mund kam statt eines Trinkspruchs eine Frage: »Wie gefällt es dir bei Europol?«
»Um die Wahrheit zu sagen, ziemlich gut, und wir sagen ja die Wahrheit. Es ist natürlich ein Plus, daß sich Europol ausdrücklich auf die organisierte Kriminalität konzentriert. Und die Antiterroreinheit kann auch an Einsätzen in derPraxis teilnehmen. Und das geschieht auch.« Riitta erzählte von ihrer Arbeit, bis die Vorspeise eintraf.
Die weichen,
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