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Finnisches Requiem

Finnisches Requiem

Titel: Finnisches Requiem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Taavi Soininvaara
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Frau zu streiten, und keine von beiden funktionierte. Warum nahm Riitta alles so ernst? Warum stritten sie sich über unwesentliche Dinge? Ketonens Yoga oder sein Kautabak waren so eine Fehde nicht wert. Riitta führte erbitterte Auseinandersetzungen über Probleme, an die sie sich ein paar Tage später nicht einmal mehr erinnerte. Ihr Verhältnis bekam allmählich merkwürdige Züge. Derzeit sehnte er sich öfter nach ein paar einsamen Feierabendbier in einer verräucherten Kneipe. Warum war dieses unbestimmte Gefühl der Einsamkeit, das ihn sein ganzes Leben lang begleitet hatte, nicht einmal damals verschwunden, als Riitta in sein Leben trat? Vielleicht paßten sie nicht zueinander.
    Die Kinder liefen auf der Bühne hin und her und wirktenungeduldig. Ratamo mußte lächeln, als er die zwanzig angehenden Musiker beobachtete. Man konnte unschwer die unterschiedlichen Menschentypen erkennen: den Introvertierten, den Clown, den Meisterschüler, den Typen, der beachtet werden wollte, den Aufgeregten, den Hyperaktiven und den Schwerarbeiter …
    Im Festsaal wurde es still, als die Dirigentin, eine resolute Frau von etwa zwanzig Jahren, die Zuhörer begrüßte, das Programm des Abends und das Orchester vorstellte. »Als erstes Stück spielt das Juniororchester ein Potpourri finnisch-irischer Melodien unter dem Titel ›Ervastis Ziegenbock‹.«
    Die Musik setzte ein, und Ratamo fühlte sich sofort gut gelaunt. Die ernsten und konzentrierten Gesichter der Kinder nahmen seine Aufmerksamkeit gefangen. Niemand konnte sie anschauen, ohne gerührt zu sein.
    Das zweite Stück war eine norwegische Sottise, den Titel hatte Ratamo nicht verstanden. Sein Blick wanderte von Nelli zu einem Knirps, der wohl noch nicht einmal im Schulalter war. Der Dreikäsehoch verfolgte das Spiel seines Nachbarn so hingebungsvoll, daß er ganz vergaß, selbst seine Geige zu spielen.
    Als ein norwegischer Schnipswalzer erklang, wirkten die Sorgen der Erwachsenen schon lächerlich.

MONTAG
    10
    Dutzende weiße Tauben kreisten wie Gespenster um den riesigen Komplex von Kuppeln, Kirchtürmen und Gewölbebögen. Die gotische Kathedrale badete im Sonnenlicht, in Sevilla herrschte schon vormittags um zehn drückende Hitze.
    Hendrik Sundström stand auf dem Platz Virgen de los Reyes und wischte sich den Schweiß von der Stirn. In Sevilla war der schwedische EU-Kommissar zum erstenmal. Der zu seinem Schutz eingesetzte Verbindungsmann der schwedischen Sicherheitspolizei SÄPO beobachtete den Platz. Nach dem Mord an Reinhart waren die Sicherheitsvorkehrungen extrem verschärft worden. Einen Verbindungsmann für Sicherheitsfragen entsandten die Staaten sonst nur bei Reisen des Ministerpräsidenten. Zusätzlich zu dem schwedischen Beamten war ein Mitarbeiter des spanischen Nachrichtendienstes CNI in Zivil für den Schutz Sundströms abgestellt. Zwei spanische Polizisten in Uniform sorgten dafür, daß Passanten und Touristen einige Meter Abstand zum Gefolge des Kommissars hielten.
    Sundström, der Verantwortliche für den EU-Haushalt, war zwei Tage vor Beginn der Finanzministerkonferenz der OECD-Staaten in Sevilla eingetroffen, um Zeit für die Besichtigung der Sehenswürdigkeiten und für einen kurzen Urlaub zu haben. An den Konferenztagen von Mittwoch bis Freitag konnte man sich die Stadt nicht ansehen, dafür würden die Demonstranten sorgen. Die Gefahr von Krawallen war offensichtlich, denn auf der Konferenz sollte der Wegfallglobaler Handelsschranken diskutiert werden. Neben den dreißig Finanzministern der entwickelten Länder nahmen an der Konferenz die führenden Vertreter der Weltbank, des Internationalen Währungsfonds und der Welthandelsorganisation teil. Die Europäische Union wurde von Sundström und Kommissar Alejandro Olmedilla Muños vertreten, der für die Wirtschafts- und Finanzpolitik zuständig war.
    Die Stadt Sevilla erwies sich als freundlicher Gastgeber und organisierte für Sundström eine Besichtigung der berühmtesten Sehenswürdigkeiten. Der Bürgermeister führte den Kommissar durch seine Stadt. Eigentlich hatte der Schwede einen Gastgeber höheren Ranges erwartet. Immerhin war er Kommissar und ehemaliger Finanzminister Schwedens.
    Eine schöne Frau aus Sevilla erzählte von der Geschichte der Gebäude, die den Platz umgaben. Ihr Englisch hatte nur einen leichten Akzent. Sundström erfuhr, daß die Gebeine von Christoph Kolumbus 1899 aus Havanna in die Kathedrale überführt worden waren. Die dunkle Gestalt am Rande des Platzes neben

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