Finnisches Requiem
Aufstiegsmöglichkeiten in der SUPO verlieren und müßte ihren Wunsch nach einer Weiterbildung begraben …
»Hallo, Kuurma, hörst du mir überhaupt zu? Ich habe Kalle also geküßt …« Elina wartete auf den Kommentar ihrer Freundin.
»Und wie hat er geküßt?« fragte Riitta, weil ihr nichts anderes einfiel.
»Na, was denkst du. Hautnah und intensiv.«
Der grellgelbe VW-Käfer raste die Fredrikinkatu entlang und röhrte wie ein See-Elefant. Riittas und Nellis langesHaar flatterte im Wind, der Ratamos kurzen steifen Bürstenhaaren nichts anhaben konnte. Das Verdeck des Autos war geöffnet, es klemmte und ließ sich nicht schließen. Ratamo hatte keine Zeit gehabt, sich mit der alten Dachplane herumzuplagen. Es war zwar schon stockdunkel, aber für einen Septemberabend zum Glück noch ziemlich warm. Und es hatte wenigstens aufgehört zu regnen.
Ratamo ärgerte sich maßlos. Erst im Frühjahr war der Volkswagen zur Generalreparatur gewesen, das hatte ihn ein paar Tausender gekostet. Allmählich wurde der dreißig Jahre alte Diener teuer, aber Freundschaft maß man nicht mit Geld. Ihm fiel plötzlich ein, daß der Käfer im Polizeijargon »Strohgebläse« genannt wurde, und er fragte sich einmal mehr, woher dieser Name stammte.
Die Ermittlungen gingen Ratamo nicht aus dem Kopf. Alexander de Gadd, Lennart Hohenthal, Ismo Varis, die MIÉP, »Magyar Nemzet« … Worin bestand der Zusammenhang zwischen Finnland, Ungarn und dem Mord? Er schob die Kassette »Really« von J. J. Cale in den Stereorecorder, konnte aber nur »I’ve got my mojo working …« hören, dann schaltete Riitta das Gerät aus.
Sie hatten ein neues Streitthema gefunden: Riitta kritisierte Ketonens Yogaübungen, weil das eigentliche Ziel beim Yoga der Rückzug aus der Wirklichkeit sei. Ketonen wolle doch ganz sicher nicht, daß sich seine Seele mit Krishna vereinte, meinte Riitta und ereiferte sich immer mehr. Der größte Teil der Leute, die Yoga betrieben, begriff ihrer Meinung nach gar nicht den Sinn dieses alten hinduistischen Rituals.
Ratamo hatte seine bessere Hälfte aufgefordert, die Sache einfach nicht ganz so ernst zu nehmen. Das war gut gemeint gewesen, aber die ungeschickte Wortwahl und der Tonfall hatten Riitta nur noch mehr in Rage gebracht. Ratamo vermutete, daß sich bei ihr schlicht der Marathon, Himoaaltosnächtlicher Besuch und der hektische Arbeitstag bemerkbar machten.
Nelli, die auf der Rückbank saß, war aufgeregt. Das Kinderorchester der Musikschule von Mittel-Helsinki gab im Dienstleistungszentrum von Kamppi sein Herbstkonzert. Um halb sieben sollte sie da sein, und jetzt war es schon zehn vor sieben. Ratamo ärgerte es, daß sie sich verspäteten: Sogar Marketta, die den Tag über bei Nelli gewesen war, hatte sich beschwert, weil er den Zeitplan nicht einhielt; seinetwegen kam sie zu spät zu ihrem Rendezvous. Die neue Beziehung seiner Ex-Schwiegermutter mußte irgend etwas Besonderes sein. Warum konnte Marketta nicht erzählen, mit wem sie sich traf?
Riitta unterhielt sich mit Nelli über alles mögliche, damit sie abgelenkt wurde und sich entspannte, aber das Mädchen preßte mit ernster Miene seinen Geigenkasten an sich, zitterte und gab nur kurze Antworten. Zwischendurch ließ Nelli ein Summen vernehmen, wenn sie die Melodie der Stücke improvisierte, die sie bei dem Konzert spielen sollte.
»Was ist eigentlich mit meinem Patenonkel los?« rief Nelli plötzlich laut, um das Knattern des Motors zu übertönen.
Ihr Vater antwortete sehr vage. Der Patenonkel sei gestreßt und müde gewesen.
»Na, dann sagst du es eben nicht«, entgegnete das Mädchen beleidigt.
Nelli entwickelt sich zu einem intelligenten jungen Fräulein, dachte Ratamo und freute sich. Die Schule hatte die Neugier des Mädchens noch nicht erstickt, obwohl sie danach strebte, alle Kinder auf das gleiche Niveau zu bringen und ihre Verschiedenartigkeit auszumerzen. So wie es die ganze Gesellschaft tat. Man mußte entweder dagegen ankämpfen, eine Narrenkappe aufsetzen oder sich unterordnen. Hoffentlich wurde Nelli durch ihre Neugier nicht auf Abwege geführt. Ratamo schossen Schreckensbilder vonDrogen, Schnaps, Zigaretten und Teenagerjungs mit pickligem Gesicht und Testosteronstau durch den Kopf. Bisher hatte Nelli nur einmal rebelliert, als sie ein Lippenpiercing wollte. Sie fanden einen Kompromiß, und sie durfte sich ein Loch in ein Ohr stechen lassen.
Das Geigenspiel hatte sich als sinnvolle Freizeitbeschäftigung erwiesen. Nelli fand
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