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Finnisches Requiem

Finnisches Requiem

Titel: Finnisches Requiem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Taavi Soininvaara
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vergaß Pastor seinen Auftrag und wünschte sich, Hannele wäre an seiner Seite. Niemand anders interessierte sich für Hannele. Auch sie war ein Opfer der Gleichgültigkeit und Habgier des Staates.
    Pastor passierte das Hauptportal des Palastes Reales Alcázares der maurischen und spanischen Herrscher im Mittelalter und erblickte linker Hand das Archivo General de Indias, in dem unermeßlich wertvolle Karten und Schriften aus der Zeit der spanischen Weltherrschaft aufbewahrt wurden. Ein paar hundert Meter weiter blieb er auf dem Platz Virgen de los Reyes stehen und wischte sich den Schweiß aus dem Gesicht und dem Nacken.
    Auf der rechten Seite des Platzes sah man den Palast des Erzbischofs und zur Linken das Kloster Convento de la Encarnación. In den Straßencafés am Rande des Platzes knabberten die Touristen Tapas und schlürften kalten Sherry oder Weißwein. Urplötzlich tauchte vor ihm eine Zigeunerin mit krummem Rücken auf und bot ihm grüne Zweige an, die schon die Blätter hängen ließen. Der Blick der Alten war gebrochen. Pastor kaufte zwei Zweige.
    In der stickigen Hitze wirkte der Duft der Apfelsinenbäume betäubend. Die gelbschwarzen offenen Zweispänner warteten auf die Touristen, die überallhin ausschwärmten, und auch die Straßenhändler machten Jagd auf ihr Geld.
    Pastor stand im Herzen Sevillas. Vor ihm erhob sich die zweitgrößte Kirche der Welt, die Kathedrale von Sevilla, die im fünfzehnten Jahrhundert an der Stelle errichtet wordenwar, an der die Moschee von Almohade gestanden hatte. Ein Minarett der Moschee war zum Glockenturm der Kirche umgebaut worden und erinnerte an die Zeit der maurischen Eroberer. Der Turm wurde »Giralda« genannt. Pastor wußte alles über Sevilla. Nichts durfte dem Zufall überlassen werden. Er zuckte zusammen, als plötzlich die Glocken der Giralda erklangen. Es war halb fünf am Nachmittag, er warf die Zweige der Zigeunerin auf das Kopfsteinpflaster. Sein Auge brannte, ein Schweißtropfen war hineingelaufen.
    Pastor schaute hinauf und betrachtete noch einmal die massive Fassade der Kathedrale. Kirchenvater Augustin hatte recht gehabt. Licht wird nicht befleckt, selbst wenn es durch Schmutz hindurch leuchtet.

9
    Riitta saß mit Elina im Café Kafka, hörte zu, was die Freundin über ihre Probleme auf Arbeit und mit den Männern erzählte, und trank lustlos ihren Latte. Ungewollt wanderte ihr Blick zu den Menschen auf der Mannerheimintie, die durch den Regen hasteten. Kurz vor halb sechs war es draußen schon dunkel. Bald würde sie in Nellis Konzert sitzen und endlich zur Ruhe kommen. Sie war müde. Heute fiel es ihr schwer, emphatisch zu sein: Noch nie hatte sie an derart wichtigen Ermittlungen teilgenommen, die zudem so unter Zeitdruck stattfanden; außerdem mußte sie sich um ihre Diplomarbeit kümmern, und der Besuch von Artos Freund, dem nächtlichen Störenfried, ärgerte sie noch immer. Wenigstens der Kaffee schmeckte gut, der Schaum war ein Gedicht.
    Riitta holte ihren Rosenkranz aus der Manteltasche und wickelte ihn um das Handgelenk. Das »Rosario« hatte ihr Arto gekauft, nachdem er im vorigen Winter versehentlich auf den Rosenkranz getreten war, den sie als kleinesMädchen von ihrer Großmutter erhalten hatte. Für sie hatte er einen großen emotionalen Wert besessen, denn es war der einzige Gegenstand, der sie an ihre Großmutter erinnerte.
    Arto war im Grunde ein wunderbarer Mann, er sagte nicht viel, war aber immer geradeheraus, in einer Weise, die sie verwirrte. Es erwies sich als schwierig, eine Frau, die leidenschaftlich gern und viel redete, und einen schweigsamen finnischen Mann miteinander in Übereinstimmung zu bringen. Begriff Arto eigentlich, daß sie ihn mit ihrer offenen und direkten Art nicht verletzen wollte? Sie war es einfach gewöhnt, so zu kommunizieren. Vielleicht müßte sie ihrem Temperament ein wenig die Schärfe nehmen. Doch wie könnte sie es schaffen, daß Arto ihr entgegenkam? Sie hatte beschlossen, die Ecken und Kanten ihrer Beziehung abzuschleifen. Ratamo war der richtige Mann für sie, das wußte sie, sonst hätte sie im letzten Winter nicht die entscheidende Initiative ergriffen. Manchmal fragte sie sich, ob Arto das auch versucht hätte.
    Er würde der Vater ihrer Kinder werden. Irgendwann. Sie war zweiunddreißig, die biologische Uhr tickte, doch noch schwirrte ihr zu vieles ungeklärt durch den Kopf; die Suppe kochte, war aber noch nicht gar. Wollte sie ein Jahr lang zu Hause bleiben, würde sie ihre

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