Finnisches Requiem
sehnsüchtig auf den Beitritt Ungarns zur Union, um seine kriminellen Geschäfte von Budapest aus auf das gesamte EU-Gebiet auszudehnen. Und er, Horvát, hatte alles getan, um den Beitritt zu erschweren.
Er brauchte Mitranos Familie, um seine Geschäfte zu erweitern, wenn er die Ukrainer losgeworden war. Mike Mitranos Organisation war eine der größten und reichsten in den Vereinigten Staaten und auf der ganzen Welt. Die russischen, die Hongkonger, die chinesischen, georgischen, afghanischen und sogar die kolumbianischen Organisationen waren Zwerge, verglichen mit der Familie Mitrano. Auf der Welt wurde immer wieder von dieser oder jener Mafia gesprochen, aber eine stand über allen. Heute genauso wie früher.
30
Den Flug MA 743 der MALÉV hatte nur eine Handvoll Reisende gebucht. Ratamo trank einen Espresso und kostete erst etwas später den Calvados. Das edle Getränk durfte man nie mit Kaffee zusammen trinken. Er würde am Abend nach elf Uhr in Budapest landen und hatte am nächsten Morgen ein Treffen mit Tamás Demeter, seinem Verbindungsmann beim ungarischen Sicherheitsdienst NBH.
Plötzlich wurde ein Passagier, der vor sich hin lallte, immer lauter und fing an zu brüllen. Ratamo schaute sich um. Ein total betrunkener finnischer Geschäftsmann, der Selbstgesprächeführte, hob sich von den anderen Passagieren ab wie eine Beule auf der Stirn. Der Steward eilte herbei, um den Störenfried zur Ruhe zu bringen.
Alles war im Lot: Vor seiner Abreise hatte er noch Zeit gehabt, Nelli bei den Hausaufgaben zu helfen und Riitta in der Küche zu lieben, während das Mädchen bei Nachbarn zu Besuch war. In einer Familie mit Kindern mußten die Erwachsenen die Gelegenheit dann nutzen, wenn sie sich bot.
Nelli hatten sie erzählt, daß ihr Vater eine Dienstreise unternahm. Zum Glück verstand das Mädchen noch nicht, worin seine Arbeit bestand. Riitta hingegen war in zärtlicher Weise besorgt gewesen. Sie behauptete, er neige dazu, in problematische Situationen zu geraten. Riitta hatte recht, vielleicht sollte er diesmal mehr im Hauptfeld bleiben und nicht an der Spitze fahren. Schließlich war er bei diesem Fall nicht persönlich betroffen. Allerdings bezweifelte er seine Eignung für die Rolle des Beobachters.
Am gestrigen Abend bei den künftigen Schwiegereltern war er ins Fettnäpfchen getreten, doch zu seinem Erstaunen nahm Riitta ihm das nicht übel. Anscheinend hatte er ihren Sinn für Humor unterschätzt. Der Gedanke, wie es sein würde, nach Hause zu kommen, war noch nie so angenehm gewesen. Glücklicher als jetzt würde er in dieser Welt nicht mehr werden.
Der Geruch des Curryhuhns stieg ihm in die Nase. Das zähe Flugzeuglunch zählte nicht zu den unvergeßlichen kulinarischen Höhepunkten seines Lebens. Nach dem Geschmack zu urteilen, hatte das arme Huhn seine besten Tage erlebt, als Mauno Koivisto das erste Mal Präsident war. 1 Ratamos Magen knurrte noch: Der Hunger war nicht gestillt . Nach dem Marathon hatte er seinen Magen so sehr ausgedehnt, daß anscheinend keine Mahlzeit mehr ausreichte.
Der Kaffee und der Calvados schmeckten ihm. Er hatte keine Angst vor dem Fliegen, aber sicherheitshalber betrank er sich jedesmal, bevor er in die Maschine stieg. Riittas Freundin, die Fluglotsin Elina, hatte sein Vertrauen in das Fliegen nicht gerade gestärkt. Wenn alle im Flugleittower genau solche Quasselstrippen waren, dann dürfte wahrscheinlich ein großer Teil der Maschinen als kleiner Punkt über den Radarschirm wandern, ohne daß jemand Notiz von ihnen nahm.
Bei diesem Flug wollte er jedoch mit dem Calvados vorsichtig umgehen: Morgen früh mußte er hellwach sein. Er würde Ketonens Vertrauen nicht enttäuschen. Die Dienstreise nach Budapest schmeichelte seinem Selbstwertgefühl, auch wenn er in der Ermittlungsgruppe der einzige war, der nicht unbedingt in Helsinki gebraucht wurde. Er sollte als Verbindungsmann zwischen dem NBH, der SUPO und der Koordinierungsgruppe fungieren. Und den Ungarn bei allen Fragen im Zusammenhang mit Finnland und der finnischen Sprache helfen, die beim Verhör Peter Seppäläs auftraten.
Der zusammenfassende Bericht der Sicherheitsabteilung über »Krešatik« und Peter Seppälä lag auf dem Sitz neben ihm. Das Material über Seppälä hatte er sofort nach dem Einsteigen gelesen. Drina, wie der Mann in »Krešatik«-Kreisen genannt wurde, hatte ein seltsames Leben hinter sich. In Finnland geboren und aufgewachsen, landete er auf dem Balkan als Söldner einer Truppe mit dem
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