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Finnisches Requiem

Finnisches Requiem

Titel: Finnisches Requiem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Taavi Soininvaara
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zweckmäßig. An der Rezeption sagte er seinen Namen und legte seinen Paß vor.
    »Hier ist ein Paket für Sie«, sagte die nette dunkelhaarige Frau und stellte einen Klotz in braunem Packpapier auf den Tresen der Rezeption.
    Ratamo überlegte einen Augenblick, ob er wagen sollte, das Paket zu öffnen; er schüttelte es, horchte und roch daran. Vielleicht hatte der ungarische Sicherheitsdienst ihm etwas für das morgige Treffen geschickt?
    Er entfernte das Klebeband, schob das Packpapier beiseite und sah ein kleines Glasbehältnis und einen Pinsel. Als er das Glas öffnete, spürte er den angenehmen Geruch von Teer. Aus irgendeinem Grund vermutete er, daß ihm dieses Geschenk keine Freude bereiten sollte.

DONNERSTAG
    31
    Pastor schrie nicht, obgleich der schneidende Schmerz durch den ganzen Körper zog, wenn der in Spiritus dilutus getauchte Wattetupfer die Schußwunde im Oberschenkel berührte. Die schwierige Kunst der Selbstbeherrschung gehörte zu den Eigenschaften eines Gentleman.
    Die Hände des Arztes zitterten. Der Quacksalber hatte Angst vor ihm, gleich am Anfang waren ihm die Handflächen und Finger seines Patienten aufgefallen. Pastor hatte sie mit flüssigem und durchsichtigem Naturgummi bestrichen, der mit synthetischen Stoffen verstärkt wurde und Fingerabdrücke verhinderte. Er erzählte dem Arzt, daß diese Methode, im Gegensatz zur Behandlung mit Säure, nicht weh tat. Drina hatte behauptet, die verrücktesten serbischen Soldaten hätten ihre Fingerspitzen in Säure getaucht, als nach dem Ende des Kosovo-Krieges die Gerüchte über Kriegsverbrecherprozesse zunahmen.
    Pastor lag in einem Bett auf dem Rücken, ein Handtuch bedeckte seine Unterhosen. Die Socken und Sockenhalter hatte er noch an. Einen wahren Gentleman erkannte man an den Socken und der Unterwäsche, an den Kleidungsstücken, die nicht gezeigt wurden.
    »Scusi.« Der Arzt bat sicherheitshalber jedesmal um Entschuldigung, wenn er ihn berührte.
    Wegen der Schußwunde konnte sich Pastor nicht waschen. Der widerliche Gestank der Fischerhütte hatte sich in die Haut und die Haare eingefressen, er roch ihn immer noch. Erst am Morgen war es ihnen gelungen, aus MassaLubrense zu fliehen. Die italienische Polizei und die Carabinieri taten alles, um van den Brinks Mörder zu finden. Überall gab es Straßensperren und Streifen. Die Gruppe, die das Exekutionskommando unterstützte, hatte ihn früh in einem engen Verschlag zwischen der Fahrerkabine und dem Laderaum eines Lkw nach Neapel geschmuggelt. Er mußte während der ganzen kurvenreichen Fahrt stehen, die Wunde blutete und schmerzte, und die Luft wurde knapp. Doch jetzt war er in Sicherheit. Er befand sich in der Via Diodato Lioy, in einem heruntergekommenen und stinkenden Motel der Altstadt, aber in Sicherheit. Zum Glück hatte van den Brink nur eine oberflächliche Wunde zustande gebracht.
    Das Wichtigste war jedoch auch in Capri gelungen: die Tötung des Kommissars und der versteckte Hinweis auf Jaakko Ilkka. Die Botschaft war wichtig: Der Keulenkrieg galt als Wendepunkt in der finnischen Geschichte. Danach hatte der Standesadel die Selbstverwaltung der Bauern abgeschafft. Das finnische Volk wurde nach dem Keulenkrieg im Jahre 1597 zum erstenmal unterdrückt. In Kaarlo Kramsus Gedicht über Jaakko Ilkka wurde der Grund für den Volksaufstand kristallklar ausgedrückt: »Wer um sein Leid nur klagen kann, der bleibt im Leid gefangen. Wer Recht im Lande will, sei Mann, es selber zu erlangen.«
    Pastor hielt sich an die Aufforderung in dem Gedicht.
    Sein Handy klingelte. Pastor blickte auf die Uhr, es war halb zwei nachts. Nur Drina und Ljubo wußten, wo man ihn erreichte. Jedes Mitglied des Exekutionskommandos hatte nach dem Anschlag seine eigene Fluchtroute: Das verringerte das Risiko, gefaßt zu werden.
    Drinas Stimme klang ernst. Pastor vermutete, daß der Freund seine Entscheidung getroffen hatte. Er hörte zu und wurde immer wütender.
    Der Arzt sah, wie der Zorn das Gesicht seines Patienten verfärbte, und unterbrach die Säuberung der Wunde.
    »Warte wenigstens noch diese Nacht, damit ich das einen Augenblick in Ruhe verdauen kann. Unternimm nichts, bevor du von mir hörst«, zischte Pastor und schaltete das Handy aus, als Drina einwilligte. Jetzt mußte er nachdenken. Das waren tatsächlich schlechte Nachrichten: Drina wollte ihn aus dem Exekutionskommando werfen, die Polizei besaß sein Bild, Hannele hatte der Sicherheitspolizei von Drina erzählt, und Zoran Jugović spielte mit

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