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Finnisches Requiem

Finnisches Requiem

Titel: Finnisches Requiem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Taavi Soininvaara
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ein Fräulein, und der andere glaubte ein Buddha-Jünger zu sein. Die waren beide verrückt. Das gleiche hatte er auch früher schon erlebt: Viele Männer, die Schweres durchgemacht hatten, drehten durch, wenn dann alles wieder leicht ging und zuviel Zeit zum Nachdenken blieb. Er selbst würde nie den Fehler begehen, sein Leben kompliziert zu machen.Der Mensch war ein Tier, ein Raubtier, das wie alle anderen Beutejäger die Augen vorn hatte. In der Angriffsrichtung. Ein Tier besaß nur zwei Ziele: überleben und sich vermehren. Die Allerstärksten lebten am prächtigsten und vermehrten sich am meisten. Er selbst hatte sieben Kinder und ein ansehnliches Vermögen. Für das Überleben standen in der Wohlstandsgesellschaft Reichtum und Macht. Um sie zu vermehren und für seine Familie zu sorgen, gab er all seine Energie.
    Ferenc bog auf die Uferstraße ab, bis zur Margit sziget waren es etwa zwei Kilometer. Es war eine gute Idee gewesen, ein wenig frische Luft zu schnappen, da es der Zeitplan und das Wetter zuließen. Bisher lief alles nach seinem Plan. Bald wären Jugović und die Ukrainer nur noch eine Erinnerung. Er würde »Krešatik« erobern und in eine ungarische Organisation umwandeln. Für einen patriotischen Ungarn war es eine Schande, in einer Organisation zu arbeiten, die den Namen der Hauptstraße von Kiew trug. Zur Zeit war es so, daß die Ukrainer über die großen Dinge entschieden und die Ungarn die Arbeit machten. Das brachte sein Blut jeden Tag in Wallung.
    Der Mercedes stoppte am Tor zu dem Bereich der Margit sziget, der für Autos verboten war. Horvát befahl seinem Fahrer zu warten. Die Gartenrestaurants der beiden Luxushotels luden zu einem Besuch ein, aber er hatte nicht die Absicht, dort vorbeizuschauen. Auf der zweieinhalb Kilometer langen, schmalen Insel mitten in der Donau gab es viele ruhige Parks. Die meisten Spaziergänger verließen freilich schon die Gegend. Die Sonne würde bald untergehen, die Straßenlaternen brannten schon. Horvát knöpfte seinen dunkelbraunen Popelinemantel zu.
    Wenn es ihm gelang, auch den Beitritt Ungarns zur Europäischen Union zu verhindern oder wenigstens zu erschweren, dann hätte er in jeder Hinsicht Erfolg gehabt. Die EUwiderte ihn genauso an wie der frühere Hausherr. Das ungarische Volk hatte schon genug gelitten. Es war bitter gewesen, die Ereignisse in Ungarn während des letzten Jahrzehnts mitzuerleben. Der Untergang des Kommunismus hatte beileibe nicht Wohlstand für das ganze Volk gebracht. 1988, noch vor dem Ende des Systems, hatten die kommunistischen Leiter der Betriebe und Unternehmen in staatlichem Besitz Aktiengesellschaften gegründet. Diese Leute saßen auf beiden Seiten des Verhandlungstisches, als die Produktion der staatlichen Fabriken und Unternehmen absolut unter Wert an die neuen Aktiengesellschaften verkauft wurde. Dann hatte die Parteielite die Erzeugnisse zum Marktpreis an die Kunden verkauft und sich die Gewinne in die Tasche gesteckt. Nach wenigen Jahren waren die Fabriken und Unternehmen des Staates leergesaugt, sie verloren ihren Wert, und die Parteimitglieder kauften sie zu einem Spottpreis. Dieselben Helden hatten auch die ungarischen Banken und einen Großteil des Grundbesitzes durch Schwindel in ihren Besitz gebracht. Keiner wachte über die Interessen des Staates und der Bürger. Ein kleiner Teil der Bevölkerung nahm das ungarische Nationaleigentum in Besitz. Der große Rest schlug sich auf zwei oder drei Arbeitsstellen durch, baute Gemüse in seinem Garten an und hinterzog Steuern, um zu überleben.
    Horvát schreckte aus seinen Gedanken auf, als er die glitzernde Donau vor sich sah, in der sich das Licht der untergehenden Sonne spiegelte. Er setzte sich auf eine Parkbank. Ein junges Paar kam vorbei, in seiner Mitte tapste mit unsicheren Schritten ein kleiner Junge. Auch Horvát hätte gern mehr Zeit mit seiner Familie verbracht.
    Zwei Dinge lagen ihm auf der Seele: Warum rührte sich die Kommission nicht, nach all den Informationen, die er ihr zugespielt hatte? Und wer hatte die Morde an den Kommissaren bei Jugović bestellt; war Jakob Reimer bloß einMittelsmann des Auftraggebers? Trotz aller Bemühungen gelang es Horvát nicht, eine Antwort auf eine der beiden Fragen zu finden.
    Die Untätigkeit der Kommission war jedoch das größere Problem. Die Zeit wurde knapp. Er wollte gar nicht daran denken, was geschehen würde, wenn Mike Mitrano von den Dokumenten erfuhr, die er der Kommission geschickt hatte. Mitrano wartete

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