Finnisches Requiem
gezinkten Karten.
Pastor nickte dem Arzt zu, er solle weitermachen. Aus dem Augenwinkel sah er, daß die Hand des Quacksalbers zitterte, als er versuchte, einen dicken schwarzen Faden durch das Nadelöhr zu ziehen. Gleich würde die Wunde genäht.
»Möchten Sie eine … örtliche Betäubung?« stotterte der schwitzende Arzt in schlechtem Englisch.
Pastor lehnte ab. Jetzt mußte er klar denken können.
Er würde die Probleme systematisch analysieren, eines nach dem anderen. Zunächst Drinas Drohung, ihn aus dem Exekutionskommando zu werfen. Darauf war er vorbereitet. Er würde seinen Freund mit der Drohung erpressen, daß er der Polizei erzählen könnte, welche Rolle »Krešatik« bei den Morden an den Kommissaren spielte. Das war notwendig, obwohl er ohne Drina vielleicht niemals die Chance bekommen hätte, sich zu rächen. Aber jetzt hatte nur die Rache eine Bedeutung. Sie führte längst ein Eigenleben.
Und das Phantombild der Polizei? Sollte er es wagen, trotzdem weiterzumachen? Aber natürlich. Er hatte nichts zu verlieren, jedoch enorm viel zu gewinnen. Seinen Landsleuten war er den vierten Hinweis schuldig. Man würde auch ihn als Verteidiger der Freiheit in Erinnerung behalten, in einer Reihe mit Jaakko Ilkka, Eugen Schauman … Die Menschen sollten begreifen, daß auch in dieser Epoche jemand wagte, sich gegen die Eroberer zu erheben. Der Kampf gegen die EU war nicht umsonst.
Man machte ihn wieder zum Sündenbock. Nicht die Hinweise, die er hinterließ, hatten die Operation gefährdet. Die Berufskiller planten die Anschläge, bereiteten sie vor und führten sie aus. Er erfüllte nur seine Aufgabe. Die Profis mußten sicherstellen, daß nichts schiefging. Es war nicht sein Fehler, daß sich auch Ljubos Ideen nicht immer reibungslos in die Tat umsetzen ließen, obwohl der Mann seit zwanzig Jahren Attentate plante.
Andererseits tat ihm Drina leid. Der Mann hatte es schwer. Er überlegte, wie er seinem Freund helfen könnte. In gewisser Weise war es seine Schuld, daß Drina in Finnland keine Zukunft mehr gehabt hatte. Mit dem Konkurs von »Finska Järn« war auch Drinas Arbeitsplatz verschwunden. Pastor fühlte sich noch immer für seinen Freund verantwortlich, wie in seiner Jugendzeit. Drina war genauso aufgewachsen wie er, auch um ihn hatte sich niemand gekümmert. Die Erinnerungen an diese Zeiten waren unangenehm.
Plötzlich wurde ihm klar, daß der Arzt vor ihm stand. Er war so sehr in seine Gedanken vertieft, daß er kaum bemerkt hatte, wie die Wunde genäht wurde.
»Die Fäden dürfen nächsten Donnerstag gezogen werden. Sie können sich waschen und den Verband in vierundzwanzig Stunden wechseln. Vermeiden Sie heftige Bewegungen. Mein Honorar ist schon geregelt.« Der Mann schien darauf zu warten, daß er gehen durfte.
Pastor gab ihm die Hand und streckte sein Bein aus. Die Fäden spannten ein wenig, würden ihn jedoch nicht am Gehen hindern. Vorsichtig setzte er sich in einen Sessel und ärgerte sich über das grelle Tapetenmuster. Er schaute nach oben zur Decke und sah, daß die Farbe abblätterte. In einer solchen Unordnung fiel es ihm schwer nachzudenken. Am liebsten hätte er hier saubergemacht, aber dafür blieb keine Zeit. Er schloß die Augen.
Was war doch gleich das dritte Problem? Ach ja, Hannele. Jetzt schienen alle Menschen, die ihm lieb und teuer waren, in diese Angelegenheit verwickelt zu sein. Seine Freundin tat ihm so leid, daß es schmerzte. Er hätte Hannele diese Pein gern erspart. Auf sie beide wartete eine gemeinsame Zukunft. Es glich einem Wunder, daß zwei derart ramponierten und intelligenten Menschen solch ein Glück vergönnt war. Was hatte er seiner Freundin alles erzählt? Was könnte Hannele der SUPO gesagt haben?
Unversehens wurde der Haß in ihm hochgespült. Er dachte nicht im Traum daran, das Spiel aufzugeben, egal, welche Gefahren dem Plan drohten. Nicht einmal einen Augenblick lang durfte er vergessen, warum die Rache sein mußte. Das System war faul, die Demokratie funktionierte nicht. Nur eine Handvoll der fähigsten Politiker entschied hinter den Kulissen über alle wichtigen Dinge. Durch die EU hatte sich die Zahl derjenigen, die tatsächlich Entscheidungen trafen, auf ein Minimum verringert. In Europa herrschte die Oligarchie, das war eine Tatsache, und niemand dachte mehr an die Interessen von Liliput-Finnland.
Plötzlich stieg ihm ranziger Fischgestank in die Nase. Mit Klebeband befestigte er eine Plastiktüte so an seinem Oberschenkel, daß sie die
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