Finnisches Requiem
daß sein Vater aus Jugoslawien stammte. Um sich wehren zu können, hatte sich Peter als Teenager für das Gewichtheben interessiert.
Völlig überraschend fing Seppälä plötzlich an, ihren Ex-Mann zu beschimpfen. Die Litanei der Schmähungen wurde immer heftiger, so daß Kuurma beschloß, den Redeschwall zu unterbrechen.
»Wissen Sie, warum der Rufname Ihres Sohnes Drina ist?«
»Was?«
»Haben Sie ein enges Verhältnis zu Peter?« fragte Kuurma und kostete den grünen Tee. Die Hausherrin hatte recht gehabt, er schmeckte nach gar nichts.
»Ein sehr enges. Zumindest früher. Obwohl Peter ziemlich wenig Zeit zu Hause verbracht hat. Heute ruft er ein paarmal im Jahr an.« Seppälä sah traurig aus. »Ich verstehe nicht, warum er dort in Budapest bleiben mußte.«
Kuurma fragte, ob es von Peter Fotos gab. In einem Fach im Bücherregal fanden sich Bilder von mehreren Filmen.
Die Hausherrin setzte sich neben Kuurma und legte ein Bild nach dem anderen auf den Küchentisch. Sie erklärte bei jedem Foto genau, wo und warum es aufgenommen worden war. Kuurma entdeckte fast auf jedem Bild denselben anderen Jungen, der älter als Peter Seppälä aussah.
»Das ist Akseli Saarnivaara. Der Sohn des Fabrikdirektors war Peters bester Freund«, sagte Maija-Liisa Seppälä stolz. Kuurma wunderte sich, warum sie das nicht erwähnt hatte, als von Peters Freunden die Rede war. Sie bat Seppälä, etwas von Saarnivaara zu erzählen.
Es stellte sich heraus, daß Akseli Saarnivaara das alte Familienunternehmen »Finska Järn«, die Wirtschaft von Karjalohja und das Leben vieler Bewohner ruiniert hatte. Gewissermaßen auch ihr Leben: Nach dem Konkurs von »Finska Järn« war sie arbeitslos geworden. Zu Kuurmas Überraschung sprach Maija-Liisa Seppälä jedoch in einem sehr warmen Ton von Akseli Saarnivaara. Akseli sei ein netter Junge gewesen und später ein sympathischer Gentleman geworden. Nach dem Konkurs von »Finska Järn« habe er ihr, der Mutter seines Freundes, geholfen.
Als Kuurma all ihre Fragen gestellt hatte, unterhielten sich die beiden Frauen noch eine Weile. Kuurma mußte die Eipastete kosten, bevor Seppälä sie entließ.
Riitta blieb noch einige Zeit im Auto sitzen und ordnete ihre Gedanken. Bei dem Besuch war nicht viel herausgekommen. Bis auf Akseli Saarnivaara.
33
Die Donau war ungefähr so breit, wie Ratamo es sich vorgestellt hatte, allerdings eher schlammig grau als schön blau. Mehr als der schnell dahinströmende Fluß und sein trübes Wasser interessierten ihn jedoch die Budapester, die auf denFußwegen der Margit híd zur Arbeit eilten, und die Autos, die im morgendlichen Berufsverkehr dahinkrochen. Die Hälfte der Wagen sah funkelnagelneu aus, die andere Hälfte altersschwach. Eine Hälfte der Menschen wirkte wohlhabend, die andere arm. Der Wohlstand schien gleichmäßig verteilt zu sein: Die einen bekamen alles und die anderen nichts. Wie immer.
Nach der Brücke bog das Taxi links ab und fuhr ins Zentrum von Pest. Ratamo überraschten die prächtigen Jugendstilhäuser. Daneben wirkten die Gebäude in Kaivopuisto, Eira und Ullanlinna wie Häuser einer Modelleisenbahnanlage. Hier sah man, daß Budapest eine alte europäische Stadt war.
Plötzlich zeigte der vor dem Taxi fahrende Trabant, daß er sein Plansoll an Kilometern erfüllt hatte. Eine dicke Qualmwolke quoll unter der Motorhaube hervor. Der Taxifahrer bremste, und Ratamo suchte am Türgriff Halt. Selbst in einem Leberauflauf ist mehr Eisen als im Nationalauto der DDR, dachte er.
Fünf Minuten später hielt das Taxi in der von Laubbäumen gesäumten, sauberen Falk Miksa utca. Ratamo zahlte und betrachtete neugierig das Hauptgebäude des ungarischen Sicherheitsdienstes NBH. Ein niedriger grüner Stahlzaun umgab das Gelände. Vor dem Hauptgebäude hockte auf hohen Betonfüßen ein kleines, kastenförmiges Haus, an dem die ungarische Flagge hing. Im braun geziegelten Erdgeschoß des Hauptgebäudes waren die Fenster von eisernen Gittern geschmückt. Die sechs oberen Stockwerke sahen neuer aus. Ihre Betonwände wurden von kleinen Fenstern durchbrochen. Auf dem Dach ragte ein Antennenwald in den Himmel, der dichter war als in der Ratakatu.
Die Morgensonne war angenehm warm, aber es wehte ein heftiger Wind. Ratamo ging unter das kleine Gebäude undsagte am Fenster der Wache seinen Namen. Er wurde kontrolliert und zum Hauptgebäude begleitet.
Ratamo blieb vor Staunen fast der Mund offenstehen, als er durch die gläserne Drehtür das pompöse Foyer
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