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Finnisches Requiem

Finnisches Requiem

Titel: Finnisches Requiem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Taavi Soininvaara
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unersetzlich geworden war, daß sie ohne ihn nicht einmal mehr schlafen konnte. Wenn sie an ihn dachte, geriet in ihrem Kopf alles durcheinander. Sie machte sich Sorgen um ihn. Aus Erfahrung wußte sie, daß Arto keine Rücksicht auf seine eigene Sicherheit nahm, wenn er etwas als seine Pflicht ansah. Zum Glück steckten sie gerade in einer Phase der Ermittlungen, die so hektisch verlief, daß sie gar keine Zeit hatte, sich allzu viele Sorgen um ihn zu machen.
    Zur Sache! Riitta beschloß, sich auf die Arbeit zu konzentrieren. Nachdem Ketonen ihr gestern nachmittag den Auftrag erteilt hatte, den Hintergrund von Peter Seppälä zu untersuchen, hatte sie alle Informationen ausgegraben, die sich in den Polizeiarchiven fanden. Das war nicht viel. Peter Seppälä hatte in all den Jahren in Finnland nichts Bemerkenswertes angestellt, er gehörte keiner Organisation an und kannte keinen Kriminellen. Der einzige behördliche Vermerk galt einem Verhör wegen Körperverletzung im Dezember 1991.
    Maija-Liisa Seppälä hatte ein trauriges Leben. Ihr serbischer Ehemann war vor mehr als zehn Jahren nach Jugoslawien verschwunden, der Sohn war 1992 auf den Balkan in den Krieg gezogen, und ihr Arbeitsplatz ging zur gleichen Zeit verloren wie der Sohn.
    Riitta bemerkte rechts das Gebäude eines alten, verlassenen Geschäfts und verringerte ihr Tempo. Sie sah das Schild der Bibliothek von Karjalohja; es wies auf ein schönes, rotocker gestrichenes Holzhaus, dessen weiße Tür- und Fensterpfosten in der Morgensonne glänzten. Dann tauchten ein altes Getreidemagazin, die Tankstelle von Neste, ein S-Market und schließlich ein häßliches Wohnhaus auf. Wie konnte man nur mitten in solch einer idyllischen Umgebungeinen zweistöckigen gelblichen Plattenbau errichten? Riitta war auch anderswo auf dieses Phänomen gestoßen: Anscheinend hatte in den siebziger Jahren die Geschwindigkeit der Entwicklung viele Verantwortliche in kleinen Orten geblendet. Sie parkte ihren Golf auf dem Stellplatz für Gäste des Hauses und stieg die Treppe hinauf in die erste Etage.
    Riitta klingelte und hörte durch die Tür, daß Maija-Liisa Seppälä schon auf den Beinen war. Die etwa sechzigjährige Frau begrüßte ihren Gast freudig und bat Riitta, näher zu treten. Sie wirkte rüstig, frohgelaunt und lebhaft. Kuurma wußte nicht, warum sie das überraschte.
    »Trinkst du Kaffee oder Tee? Hast du schon gefrühstückt? Soll ich ein paar belegte Brote machen?« fragte die Frau fürsorglich, als Kuurma Schuhe und Mantel auszog.
    Kuurma erwiderte, ihr reiche ein Tee. Sie hatte gut und reichlich gefrühstückt. Die Zweizimmerwohnung machte einen sauberen Eindruck, aber die Haushaltsgeräte und die Möbel waren alt und abgenutzt. Im Wohnzimmer hing ein schöner Knüpfteppich an der Wand, die Sofalehne schmückte eine Spitzendecke, und zahlreiche bestickte Kissen verrieten das Hobby der Hausherrin.
    Maija-Liisa Seppälä erzählte und erzählte, während sie den Tisch deckte. Anscheinend wollte sie überhaupt nicht mehr aufhören. Kuurma überlegte, ob die Frau nie Besuch hatte oder einfach nur gern redete.
    »Hoffentlich ist dir der grüne Tee recht. Er hat nicht viel Geschmack, enthält aber reichlich Flavonoide. Die verhindern Herzkrankheiten. Und die liegen bei uns in der Familie. Rotwein hat noch mehr Flavonoide, aber man kann ja nicht ständig Roten picheln«, erzählte Seppälä und goß dabei schon Tee in Kuurmas Tasse ein. Dann tauchten auf dem Tisch auch noch belegte Brote mit Lachs, karelische Piroggen und Pasteten auf. Kuurma mußte lächeln.
    Nun erzählte Seppälä von ihrer langen Zeit als Arbeitslose.Sie verwünschte ihren Kopf, der nicht zum Lernen tauge: Die Umschulungskurse, zu denen sie vom Arbeitsamt in der Zeit der Krise gescheucht worden war, hatte sie nicht geschafft. Nach dem Konkurs von »Finska Järn« im Jahre 1992 fand sich in Karjalohja keine Arbeit mehr. Aber jetzt ging es ihr gut: Sie war Rentnerin. Ein Lachsbrot verschwand im Mund der Gastgeberin.
    »Und Ihr Sohn. Hatte Peter …«, sagte Kuurma, wurde aber sogleich von Maija-Liisa Seppälä unterbrochen. Als sie anfing, von ihrem Sohn zu reden, glänzten ihre Augen vor Sehnsucht.
    Sie kam vom Hundertsten ins Tausendste, aber es ließ sich heraushören, daß sie nur wenig über die Jugendjahre ihres Sohnes wußte. Eines zeigte sich aber doch: Peter hatte nie übermäßig viele Freunde besessen. Seine Mutter vermutete, daß man ihn gehänselt hatte; in dem kleinen Ort wußten alle,

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