Finnisches Roulette
quälender.
Ratamo schien es so, als würde das Mikrofon auf seiner Brust von diesen brandneuen Informationen glühen. Die deutschen Polizisten hörten alles, was im Beratungszimmer gesprochen wurde. Würde man sie als Geisel nehmen? Würde ein Sondereinsatzkommando den Raum stürmen? Das waren beängstigende Aussichten.
Ratamo und Inge Würth berieten fieberhaft. Sie mußten versuchen, zu verhindern, daß Sami Rossi von Agron benutzt wurde, obwohl sie nicht genau wußten, was der Oberst beabsichtigte. Sie könnten ihm jetzt sofort verraten, daß man im Polizeipräsidium über die Ereignisse im Main-Tower informiert war, aber dann würden sie ihre Verbindung zur Außenwelt verlieren. Beide Ermittler hielten das für unklug; dann stünden sie völlig isoliert da.
Schließlich hatte Würth eine Idee. Sie beugte sich vor, um nahe am Mikrofon zu sein. »Wenn Lauras Mann Oberst Agron mitteilen würde, daß er der Polizei alles erzählt hat, könnte sich die Lage entspannen. Der Oberst geriete dann völlig in eine Sackgasse.« Würth sprach übertrieben langsam, damit die Männer, die den Sender im Präsidium abhörten, auch mit Sicherheit verstanden, was sie vorschlug.
Auch Ratamo begriff, was Würth damit bezweckte. Sami Rossi wäre imstande, dieses irrsinnige Drama zu beenden.Doch dann schoß ihm ein ganz anderer Gedanke durch den Kopf: In seiner Wut könnte Oberst Agron sie auch dann umbringen, wenn er das Spiel endgültig verloren hatte. Aus Rache.
54
»Du gleichst einem Blitz, erst leuchtet einer deiner Gedanken auf, und dann folgt die Zerstörung«, fauchte Goldstein und blieb vor Saul Agron stehen, der mit gefesselten Händen auf dem Sofa saß. Der Chef der Leibwächter starrte den Oberst gleichgültig an.
Goldstein hatte seine Wut endlich unter Kontrolle. »Du verstehst anscheinend nicht, daß für mich nur der Sieg in Frage kommt, wenn ich so ein Spiel anfange. Bald wird Israel erstmals in seiner Geschichte inmitten all seiner Feinde in Sicherheit sein. Wir brauchen nur die ethnische Bombe und einen prophylaktischen Schlag.«
Goldstein maß die Auslegware mit seinen Schritten aus. »Zum Glück ist dir alles mißlungen. Ich habe auch für den Fall Vorkehrungen getroffen, daß du das Testament nicht bekommst und Laura Rossi ihre Tante beerbt. Bei meinen Nachforschungen hat sich ergeben, daß im Falle ihres Todes der Ehemann das Vermögen erbt. Und ich habe sichergestellt, daß er mir seine Aktien verkauft. Rossi macht nicht den Eindruck, als wäre er ein Mann, der Versuchungen widerstehen kann, erst recht nicht, wenn es sich um Millionen Euro handelt. Er hat seine Frau schon einmal verkauft.«
Saul Agron antwortete nicht. Er wußte, wann ein Kampf verloren war. Die Zeit als Rentner im Überfluß würde ein Traum bleiben, aber das stimmte ihn nicht traurig. Seine Welt war in dem Augenblick zusammengebrochen, als ihm Ehuds Verrat klar wurde. Warum hatte er nicht erkannt, daß der Junge ihn haßte? Jahrelang war ihm der Schmerz nachIlanas Tod nicht so gegenwärtig gewesen, jetzt brannte er wieder wie Feuer.
Goldstein nahm von Agrons Schreibtisch ein schweres Feuerzeug aus Jade und hielt die Flamme an Anna Halberstams Testament, bis das Papier aufloderte. Er ließ den brennenden Rest in einen Aschenbecher aus Kristall fallen und wartete, schließlich blieb nur ein verkohltes Häufchen übrig. »Ich habe Laura Rossi gerade zur Erbin gemacht.«
»Und was ist mit mir?« fragte Agron leise.
»Was glaubst du, weshalb meine Männer Waffen mitgebracht haben?« Goldstein wandte sich dem Chef der Leibwächter zu. »Bringt alle um, wenn ich das Gebäude verlassen habe, und kommt dann nach zum Hubschrauber.«
»Teilen Sie mir mit, wenn das fünfzigste Stockwerk isoliert ist, wenn die Menschen aus dem Gebäude evakuiert wurden und der ganze Main-Tower unter Kontrolle ist«, wies Jürgen Brauer in seinem dunklen Anzug den Einsatzleiter der Antiterroreinheit des Bundesgrenzschutzes am anderen Ende der Leitung an.
Brauer vertraute der GSG 9, weil sie auf die Befreiung von Geiseln spezialisiert war. Er legte in der Operationszentrale des Frankfurter Polizeipräsidiums den Hörer auf und spürte im Rücken den Blick des Chefs des Sondereinsatzkommandos. Das SEK der Polizei war für diese Aufgabe nicht erfahren genug.
Brauer verließ den Raum und rannte die Treppen hinauf in die zweite Etage, wo Sami Rossi im Verhörraum wartete.
»Ist mit Laura alles in Ordnung?« fragte Rossi hastig, sobald die Tür aufging. Der
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