Finnisches Roulette
begann, und quasselte munter drauflos, so als wäre Polnisch eine Weltsprache, die alle beherrschten. Laura verstand von dem ganzen Erguß kein Wort, vermutete aber, daß man nicht bis zu dem Haus fahren durfte.
Als Laura bezahlt hatte, ließ sie ihren Blick über den von alten Häusern umgebenen Platz schweifen, an dessen Rand die Sonnenschirme der Straßenrestaurants bunte Farbtupfer bildeten. Sie holte den Stadtplan aus ihrer Handtasche und ging zum nächsten Straßenschild – Szeroka-Straße. Das Büro von Jerzy Milewics befand sich laut Karte ganz in der Nähe. Bis zu ihrer Verabredung um elf Uhr war noch über eine Stunde Zeit, also beschloß Laura, ein wenig spazierenzugehen, vielleicht würde das beruhigend wirken. Ihre Gedanken landeten, ob sie wollte oder nicht, immer wieder bei Milewics.
Kazimierz, der jüdische Stadtteil von Kraków, sah genauso aus, wie Laura ihn sich vorgestellt hatte: mittelalterlich, heruntergekommen und schön. Sie lief gemächlich durch die Gassen und betrachtete die Häuser, die im Laufe der Zeit Patina angesetzt hatten. Über vielen Haustüren strahlte der Davidstern, und hier und da kamen unter der abgeblätterten Farbe der Häuser Buchstaben unterschiedlicher Größe zum Vorschein. Jiddisch oder Hebräisch, überlegte Laura. Die Häuserwände waren mit kleinen Löchern übersät, es dauerte eine Weile, bevor ihr klar wurde, daß es sich um Überbleibsel des Krieges handelte. Die gab es auch in Helsinki. Laura hatte Angst. Gleich würde sie dem Mann begegnen, der dafür gesorgt hatte, daß Sami im Gefängnis, sie in Kraków und Dietmar Berninger im Reich der Toten gelandet war. Das nahm Laura zumindest an. Sie versuchtesich einzureden, daß nach dem Treffen der ganze Alptraum vorbei sein würde, so gelang es ihr schließlich, die Anspannung ein wenig zu verringern.
Trotz der Hitze streiften Hunderte Touristen durch das Labyrinth der jüdischen Viertel. Die Gassen von Kazimierz waren eng und verwinkelt, man mußte sich vorsehen, daß einem niemand in die Hacken trat. Schließlich hatte es Laura satt, sich durch die Menschenmenge zu schlängeln, und kehrte auf den Platz zurück, um dort zu warten.
In den Straßenrestaurants gab es freie Tische, die Frühstückszeit näherte sich anscheinend ihrem Ende. Laura entschied sich für das Restaurant »Ariel«, setzte sich auf einen Korbstuhl unter den Zweigen eines Laubbaumes und bestellte bei einem wortkargen, aber höflichen Kellner einen Kaffee. Sie bereute die Bestellung, als ihr einfiel, daß ihr Herz durch den Kaffee noch heftiger schlagen würde.
Zwanzig nach zehn machte sich Laura auf den Weg in die Jósefa-Straße, zu diesem Treffen durfte man nicht zu spät kommen. Die Hälfte des Kaffees ließ sie stehen. Laura überquerte den Platz, und ihr Blick fiel auf ein offiziell wirkendes rotes Schild, das an der Wand eines dunklen Hauses angeschraubt war:
Komisariat Policji, Krakov, Stare Miasto
. Ein Polizeikommissariat. Dahin würde sie rennen, wenn etwas schiefging.
Sie schaute auf den Stadtplan, ging an einer Synagoge aus roten Ziegeln vorbei und erreichte die Jósefa-Straße, aber die war mit einem Schlagbaum abgesperrt. Knapp zwanzig Meter entfernt sah man neben einem Wohnhaus, das neu errichtet wurde, die Hausnummer 40. Aus den Schildern mit Pfeilen schloß Laura, daß sie von der anderen Seite zum Kontor von Milewics gelangte, also das ganze Quartier umgehen mußte. Sie kehrte um, bog in die Ciemna-Straße und kurz danach in die Jakuba-Straße ab.
Das Stahlgerüst an dem Neubau in der Jósefa-Straßereichte bis zum Dachfirst, auf den federnden Brettern lief etwa ein Dutzend Bauarbeiter hin und her, dazwischen lagen mehrere wacklige Ziegelstapel. Am Rand der Baustelle hatte man ein Schutzdach errichtet. Darunter kreischte eine Kreissäge mit ohrenbetäubendem Lärm und zerlegte ein Brett in kurze Stücke. Die Gasse war so schmal, daß die Passanten der Säge wohl oder übel sehr nahe kamen. Die dürfte aber nicht hier stehen, dachte Laura, hielt sich die Ohren zu und ging vorsichtig an der Kreissäge vorbei.
Nach dem Nadelöhr wurde die Straße wieder breiter, endete aber an einer tiefen Baugrube, aus deren Boden lange Stahldorne emporragten. Zur Jósefa-Straße 40 kam man nur auf einem schmalen Steg aus Brettern, der über die Baugrube führte. Plötzlich rief hinter Laura jemand etwas, sie drehte sich um und begriff, daß sie einem Bauarbeiter, der einen Zinkeimer schleppte, den Weg versperrte. Als Laura zur Seite
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