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Finnisches Roulette

Finnisches Roulette

Titel: Finnisches Roulette Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Taavi Soininvaara
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etwas fragte und ein großgewachsener junger Kerl in ihre Richtung zeigte. Laura erhöhte ihr Tempo, und die Menschen traten vor ihr zur Seite. Der Motor des schwarzen Wagens brummte ganz in der Nähe. Sie hatte das Gefühl, daß es ihr die Lungen zerriß.
    Laura sah vor sich ein breites Tor: Auf dem Burghof wimmelte es von Menschen, Polizisten waren aber nicht zu sehen. Laura folgte einer spontanen Eingebung und stürzte sich nicht in das Menschenmeer, dort würden die Araber sie zuerst suchen. Statt dessen rannte sie am Haupttor vorbei, lief um einen Wachturm herum, der neben dem Tor in den Himmel ragte, und raste an der Mauer weiter. Sie hörte, wie das Auto näher kam. Der Schweiß brannte ihr in den Augen.
    Laura hetzte ganz dicht an der Mauer entlang, bis ihr die Beine den Dienst versagten. Keuchend blieb sie stehen und starrte auf die Löcher in der Mauer – Schießscharten vermutlich. Da paßte niemand hinein. Außer ihr. Sie kletterte in die nächstgelegene Öffnung, zwängte sich ganz in das Versteck und versuchte ruhiger zu atmen, aber ihr Herz raste und hämmerte und ließ sich nicht zähmen. Dann hörte sie jemanden rennen. Die Schritte kamen näher, wurden immer leiser und verstummten schließlich. Die Stille brannte wie schmelzender Stahl. Würde sie jetzt sterben?
    Laura schrie auf, als ein Gesicht vor ihr auftauchte und der Araber den Pistolenlauf an ihre Stirn drückte. Sie roch das Pulver und das Metall, und der Killer starrte durch sie hindurch. Die schwarze Angst wurde zur weißen Gefühllosigkeit, und sie spürte nur noch Leere im Kopf, als ihr klar wurde, daß sie sterben würde. Dann hörte Laura ein Zischen und sah, wie der Araber seine braunen Augen verdrehte. Den Betäubungspfeil, der im Hinterkopf des bewaffneten Mannes steckte, sah sie nicht.
    »Du bist in Sicherheit«, sagte Wim de Lange, der wie aus dem Nichts aufgetaucht war; er half Laura aus der Schießscharte heraus. Der Mann mit dem Bürstenhaarschnitt hatte ihr schon zum zweitenmal das Leben gerettet, sie vertraute ihm. Zu zweit rannten sie zu dem Audi, der vor dem Haupttor stand, einige Touristen schauten ihnen verdutzt hinterher.
    »Wir versuchen dich in das Büro von Milewics zu bringen«, sagte de Lange, als das Auto aufheulte und losfuhr. Laura schaute ihren Lebensretter mit angstgeweiteten Augen an.
    »Wir haben den Mann nicht getötet. Das war ein Pneu-Dart-Betäubungspfeil mit dem Chemikaliencocktail Hellabrun«, antwortete de Lange auf die unausgesprochene Frage.
    Laura glaubte den Verstand zu verlieren. Alles erschien ihr unwirklich: der Tod Berningers, die Inszenierung, die Sami zum Mörder machte, der Mordversuch eben, die unbekannten Retter, die arabischen Mörder, der polnische Kriminelle … Man zerrte sie in einer fremden Welt hin und her. Verglichen damit erschien selbst Kafkas »Prozeß« logisch. Am liebsten wäre sie vor all dem geflohen, aber ihr war klar, daß sie das nicht tun konnte. Wenn sie zur Polizei ginge, müßte Sami seine besten Jahre im Gefängnis verbringen. Sie war gezwungen weiterzumachen.
    11
    Arto Ratamo goß Wasser auf den elektrischen Saunaofen, und die schwarze Orgel spielte ihre heiße Melodie. Die in Alufolie eingewickelten Grillwürste lagen auf den glühenden Steinen und zischten; es roch nach Fett. Eine tolle Mittsommersauna ist das, dachte er und fluchte vor sich hin. Ratamo kam sich äußerst bedauernswert vor, weil er während der Mittagspause im Keller seines Wohnhauses in einer Sauna, kaum größer als ein Kleiderschrank, hocken mußte. Er war erst gegen Mitternacht von der Arbeit nach Hause gekommen, ins Bett gefallen und sofort eingeschlafen. Also mußte er sein Mittsommersaunabad heute, am Sonntag, nachholen. Einmal mehr verfluchte er Wrede undwünschte ihn an einen Ort, an dem die Sonne niemals schien.
    Der Kater vom Sonnabend lebte immer noch. Ratamo fiel ein, daß die nordamerikanischen Prärieindianer, die den Schnaps nicht gewöhnt waren, Alkohol seinerzeit nicht etwa tranken, um betrunken zu werden, sondern um einen Kater zu bekommen. Den hielten die Rothäute für einen heiligen Zustand, in dem der Geist glasklar wurde und alles Irdische abfiel. Das sprach Ratamos Sinn für Humor an. Er schwappte noch mehr Wasser auf die Steine, und die Hitze ließ die Schweißperlen auf den Schultern groß wie Moosbeeren werden, bevor sie der Schwerkraft nachgaben und hinabrollten.
    Aus dem moralischen Kater war Verärgerung geworden. Die Sauftouren am Mittsommertag in Naantali und

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