Finnisches Roulette
schon während der letzten Wochen durch die Kneipen Helsinkis erschienen ihm jetzt kindisch. Und die Vorstellung, mit Lapa Väisälä von einer Bar zur anderen zu ziehen und ständig seine krankhaften Frauengeschichten zu hören, fand er nun so reizvoll wie eine Darmspülung. Es war auch völlig sinnlos, Riitta nachzutrauern, schließlich endeten alle Beziehungen irgendwann unglücklich – entweder mit einer Trennung oder mit dem Tod. Ratamo wußte aus Erfahrung, daß ein Rendezvous mit einer Frau das beste Mittel war, um eine andere Frau zu vergessen, also hatte er sich für diesen Abend mit seiner ehemaligen Kollegin Maija verabredet. Man konnte nur hoffen, daß dieses Treffen etwas beschaulicher verlief als sein erstes Date nach Riittas Abreise.
Er bereute es immer noch, daß er sich mit Elina eingelassen hatte. Riittas Freundin, die Fluglotsin, hatte Ratamo um ein Treffen gebeten, als Riitta gerade erst ein paar Tage vorher nach Holland umgezogen war. Elina hatte behauptet, sie wolle ihn über die Hintergründe der Entscheidung Riittas aufklären, aber im Laufe des Abends stellte sich heraus,daß sie noch weniger wußte als Ratamo. Sie wollte ihn einfach in ihr Bett locken, was ihr dann auch ohne große Probleme gelang. Überraschenderweise erwies es sich dann jedoch als viel größeres Problem, sie wieder loszuwerden: Die Frau schickte ihm eine SMS nach der anderen, rief immer wieder an und machte ständig irgendwelche Vorschläge. Ratamo hätte ihr am liebsten empfohlen, sich einer Therapie zu unterziehen. Doch er versuchte sich wie ein Gentleman zu benehmen und verwies ein ums andere Mal darauf, daß er ihr gleich am Anfang gesagt habe, er wolle sich nicht so schnell auf eine neue Beziehung einlassen. Wäre es jetzt besser, wenn er vor seiner nächsten Flugreise überprüfte, ob Elina im Turm der Flugleitzentrale saß?
Am meisten ärgerte ihn, daß sie Riitta von ihrer gemeinsam verbrachten Nacht erzählt hatte. Seine ehemalige Lebensgefährtin hatte ihn daraufhin wutentbrannt angerufen und als Weiberhelden und Wüstling der allerschlimmsten Sorte beschimpft. Danach war von Riitta nichts mehr zu hören gewesen.
Ratamo nahm eine kalte Dusche, zog seinen ausgeblichenen Bademantel über und holte sich aus dem Kühlschrank ein Bier. Auf dem Fensterbrett in der Küche vertrocknete ein Dutzend von Riittas Kräutertöpfen, aus irgendeinem Grund brachte er es einfach nicht fertig, sie in den Müll zu werfen.
Kurz darauf dröhnte aus den Lautsprechern der Stereoanlage »Deep Dark Dungeon« von J. J. Cale. Ratamo ließ sich in den Schaukelstuhl fallen und suchte eine möglichst bequeme Sitzposition. Die Grillwürste, die man unter einem Berg von Senf kaum sah, verschwanden im Handumdrehen genau wie der Inhalt der Bierflasche, dann schnappte der Deckel der Kautabakdose auf, und seine Oberlippe schwoll an. Der Wohlstandsspeck am Bauch zwängte sich über den Hosenbund der Boxershorts und erinnerte ihn an all dieKilometer und Runden, die er in der letzten Zeit nicht gelaufen war.
Plötzlich bemerkte er, daß die rote Leuchte an seinem Anrufbeantworter blinkte. Nur Nelli und Marketta riefen ihn auf dem Festnetz an. Elina hatte doch nicht etwa ihre Angriffstaktik ausgebaut? Er drückte auf den Knopf und hörte die Stimme seines Vaters. Die Nachricht endete mit den Worten: »… vielleicht könnten wir uns nächste Woche treffen.«
Aus irgendeinem Grund machte ihm das Auftauchen seines Vaters in Helsinki genauso zu schaffen wie die Abreise Riittas. Er fürchtete, der Alte könnte sentimental werden oder über Vergangenes reden wollen, und beide Alternativen waren ihm zuwider. Andererseits sagte ihm ein hartnäckiger Gedanke im Hinterkopf, daß er über kurz oder lang gezwungen sein würde, seinen Vater zu treffen. Doch wann immer das auch sein würde, für ihn war es in jedem Falle zu früh.
Ratamo fand, daß er seine Sorgen nun lange genug wiedergekäut hatte. Jetzt mußte er sich auf den Fall Berninger konzentrieren, als Leiter der Ermittlungen konnte er sich seinen Verpflichtungen nicht entziehen. Seine Gedanken wanderten zum Bericht des kriminaltechnischen Labors. Im Aufzug des »Forum« hatte man Sami Rossis Fingerabdrücke und Schweiß gefunden, aber auch das bewies noch nicht, daß er Berningers Mörder war. Auf der Haut des Deutschen ließen sich nicht einmal latente Fingerspuren nachweisen, weil der Mörder Handschuhe benutzt hatte. Ratamo erinnerte sich, gelesen zu haben, daß man fieberhaft versuchte, die
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