Finnisches Roulette
trat und den Mann auf die Bretterbrücke gehen ließ, fiel ihr das Kabel auf, das einem Bauarbeiter mit gelbem Helm auf der anderen Seite der Baugrube aus dem Ohr hing. Der Mann hockte da, starrte sie an und schien mit sich selbst zu sprechen. Irgend etwas stimmte hier nicht.
Laura betrat die Brücke, aber jemand packte sie von hinten so heftig an der Schulter, daß es schmerzte, und riß sie zurück. Sie wurde zu Boden geworfen, und im selben Augenblick krachte es, und der Asphalt erbebte. Ihre Trommelfelle knackten, sie schmeckte Ziegelstaub, und all ihre Sinne waren geschärft. Instinktiv wandte sie den Kopf in Richtung des Lärms. Was war geschehen? Die Bretterbrücke war verschwunden, überall lagen Ziegel herum, und von dem Bauarbeiter mit dem Zinkeimer war weit und breit nichts zu sehen.
Laura drehte sich um, sie wollte ihren Retter sehen. Der Blick des Mannes mit dem Bürstenhaarschnitt und der Bomberjacke verriet, daß die Gefahr noch nicht vorbei war.
»Ich bringe dich in Sicherheit«, sagte Wim de Lange auf englisch. Er half Laura aufzustehen und zog sie am Arm in Richtung Marktplatz. Am Rand der Grube standen Dutzende Bauarbeiter und beklagten entsetzt das Schicksal ihres Kollegen, der von den Stahldornen aufgespießt worden war.
Schon nach einigen Schritten wurde de Lange und Laura der Weg von vier schwarzhaarigen Männern versperrt, die ihre Waffen unter den Popelinemänteln hervorzogen. De Lange blieb stehen, drückte Laura hinter sich auf den Boden, murmelte etwas und holte blitzschnell ein kurzläufiges Gewehr unter seiner Jacke hervor. Wie aus dem Nichts tauchten von allen Seiten Männer mit Bürstenhaarschnitt und Bomberjacke auf. Die Männer mit dunklem Teint waren umzingelt.
Angst strömte durch Lauras Adern. Sie hob das Gesicht vom Pflaster, um die Angreifer zu sehen, und hörte, wie einer von ihnen etwas zu seinen Kumpanen sagte. Die Sprache konnte sie nicht mit Sicherheit identifizieren, aber es hörte sich wie Arabisch an. Auf dem Handrücken des Mannes sah sie eine große türkisfarbene Tätowierung. Im selben Augenblick brach die Hölle los, die Araber eröffneten das Feuer, und die Männer mit dem Bürstenhaarschnitt schossen zurück. Laura preßte sich noch dichter auf das Pflaster, ihr stockte der Atem, und das Herz wollte ihr fast aus der Brust springen. Neben ihr schrie jemand wie ein Tier, einer ihrer Beschützer faßte sich ans Bein, zwischen seinen Fingern spritzte Blut hervor. Der Mann, der Laura schützend festhielt, ließ sie los und stürzte zu seinem Kameraden, um ihm zu helfen. Aus Richtung der Polizeistation heulten die Sirenen auf.
Vor Entsetzen war Laura starr, aber der Instinkt befahl ihr zu fliehen. Sie sprang auf, zwang sich loszulaufen und kümmerte sich nicht um die Rufe, die sie hinter sich hörte. Das Polizeikommissariat war ganz in der Nähe, bis dorthinmußte sie es schaffen, vielleicht gelang es ihr, die Araber zu umgehen. Laura rannte los, sie kam nicht einmal auf den Gedanken, erst noch den Stadtplan zu studieren. Ein Absatz der Pumps blieb an einem Pflasterstein hängen. Sie brach den Absatz des anderen Schuhs auch ab und wollte in Richtung Polizeiwache abbiegen, sah aber zu ihrer Überraschung vor sich einen Fluß. Wohin zum Teufel waren der Platz und das Kommissariat verschwunden?
Laura rannte die Straße am Ufer der Wisla entlang, sie durfte nicht stehenbleiben, obwohl das Stechen in der Lunge und die Schmerzen in den Beinen schlimmer wurden. Wo fand sie einen Polizisten? Sie überquerte eine Brücke und sah, wie ein endloser Strom von Menschen den Hügel herunterflutete. Touristen … Sehenswürdigkeiten … Händler … Polizisten … Ihr wurde klar, daß Hilfe schon ganz nah sein konnte, und das gab ihr die Kraft weiterzurennen. Auf dem nahe gelegenen großen Hügel sah sie eine gewaltige Burg. Wer waren die Mörder?
Zwischen den hohen Mauern wurde der Weg zum Burgberg hinauf immer steiler. Laura blieb fast die Luft weg, lange würde sie nicht mehr durchhalten. Sie lief an einem runden Wachturm vorbei, bog scharf nach rechts ab und sah, daß der Anstieg glücklicherweise zu Ende war. Die Touristen bewunderten an der äußeren Mauer die Aussicht auf die Landschaft, jemand drehte sich um und betrachtete verblüfft die junge Frau mit dem blutbespritzten weißen T-Shirt, die hastig Luft in ihre Lungen pumpte.
Ein schwarzes Auto bahnte sich seinen Weg mitten durch die Menschenmenge. Als Laura zurückblickte, sah sie, daß der Fahrer die Fußgänger
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