Finnisches Roulette
Verhandlungstisch zurecht.
Der ältere Agron fluchte. Er würde die Genkarten von Genefab nur bekommen, wenn er das Mutterunternehmen H & S Pharma an sich brachte. Ein bewaffneter Überfall war ausgeschlossen, da die Daten auf absolut sicheren Computern aufbewahrt wurden. Industriespionage wiederum würdezu lange dauern: Das Schicksal der Firma Genefab und der Genkarten würde sich innerhalb der nächsten Tage entscheiden. Wenn auch Eero Ojala seine H&S-Pharma-Aktien Anna Halberstam übergab, hätte die Frau den Wettlauf gewonnen.
Oberst Agron wollte immer noch nicht wahrhaben, was er für ein unglaubliches Pech hatte: Werner Halberstam war im absolut falschen Augenblick abgekratzt. Genefab hatte seit 1996 die genetische Struktur sowohl der aus Mittel- und Osteuropa stammenden Aschkenasim als auch der aus dem Mittelmeerraum und den arabischen Ländern kommenden sephardischen Juden erforscht. Im Laufe dieses Sommers sollte Werner Halberstam ihm alle Forschungsergebnisse übergeben.
»Geht die Besprechung nun weiter?« Unwirsch unterbrach Ehud die Gedankengänge seines Vaters. Er strich sich über die dunklen Bartstoppeln, die innerhalb weniger Stunden gewachsen waren, und stopfte den Saum seines scharlachroten T-Shirts unter den Gürtel der Jeans.
Saul Agron spürte, wie ihn eine warme Welle durchströmte, als er seinen Sohn betrachtete, den Mann, der den Namen Agron weiterführen würde. Ehud, der seit fast vier Jahren bei Genefab als Genetiker arbeitete, würde Chef der Firma werden, sobald sie das Unternehmen unter ihre Kontrolle gebracht hatten. Agrons Vorhaben mußte also unbedingt gelingen, auch weil es um die Zukunft seines Sohnes ging. »Beginnen wir damit, wie wir uns als neuer Haupteigentümer von Genefab in der Öffentlichkeit darstellen sollten«, schlug der Oberst vor.
Ehuds Gesicht hellte sich auf. »Ganz konservativ. Wir teilen mit, daß wir auch künftig erforschen werden, wie sich das Erbgut der Juden von dem anderer ethnischer Gruppen unterscheidet und warum die Tay-Sachs-Krankheit, Brust- und Eierstockkrebs, die zystische Fibrose, die Gaucher-Krankheitund die Canavan-Krankheit gerade unter Juden so häufig auftreten«, sagte Ehud aus dem Stand. »Außerdem informieren wir über unsere Suche nach den genetischen Ursachen von Krankheiten und nach neuen Medikamenten. Das spricht ein großes Publikum und Investoren an.«
Eine weiße Haarlocke glitt auf Dr. Müllemanns Stirn, als er nervös auf seinem Stuhl hin und her rutschte. »Aber in Wirklichkeit wird das Hauptgewicht der Forschung bei Genefab künftig auf der kommerziellen Rassenveredlung des Menschen liegen. Wir intensivieren die Embryo- und Genforschung, bis wir den Konsumenten die Möglichkeit bieten können, Eigenschaften ihrer Kinder auszuwählen: Größe, Gewicht, Augen- und Haarfarbe … Genefab wird bei der Manipulierung des Erbgutes menschlicher Embryos Pionierarbeit leisten.«
Das Gespräch war bei Ehuds Lieblingsthema angelangt. Voller Begeisterung malte er die Zukunftsaussichten der Gentechnik aus: In einigen Jahren würden keine kranken Kinder mehr geboren, und Kurzsichtigkeit, Fettleibigkeit, Farbblindheit, Linkshändigkeit und Zwergenwuchs wären Geschichte. Danach würde man zur genetischen Kosmetik, zur Manipulierung des Äußeren und der Leistungsfähigkeit des Menschen übergehen, und am Ende würden die Verbraucher bei Genefab auf Bestellung maßgeschneiderte Kinder kaufen können.
Oberst Agron sah zufrieden aus. Ehud hatte den Verstand von ihm geerbt. Zum Glück, denn äußerlich kam der Junge ganz nach der Mutter. Und mit seiner Kleidung und den langen, wehenden Haaren erinnerte er an einen Zeitreisenden aus Woodstock. Der Sohn rebellierte immer noch gegen seinen Vater. »Bist du überzeugt, daß die Massen es wagen, diese … neuen Möglichkeiten zu nutzen?« fragte der Oberst unsicher. Die Zukunft der Gentechnik interessierteOberst Agron nur aus einem einzigen Grunde: Er bekäme einen Anteil von zwanzig Prozent an Genefab, wenn es ihm gelänge, H & S Pharma zu erobern.
»Die Kunden werden die Modifizierung der Gene schnell akzeptieren, trotz der Risiken«, versicherte Ehud selbstbewußt. »Die Menschen manipulieren ihren Körper und ihre Psyche ja jetzt schon mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln, auch ohne die absolute Gewißheit, daß diese Mittel sicher sind: Lifting, Fettabsaugen, Tätowierungen, Perforierungen, Hormone, Medikamente gegen Depressionen und zur Anregung, Viagra, Drogen … Die Spitzensportler
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