Finnisches Roulette
deshalb plante man in Israel die wirksamste Massenvernichtungswaffe aller Zeiten.
Rafi Ben-Ami, der Chef des Kommandos, das für Oberst Agron arbeitete, strich über die türkisfarbene Fünf, die auf seinem Handrücken eintätowiert war. Jetzt bereute er, daßer sie während des Mordversuchs an Laura Rossi nicht verdeckt hatte.
Ben-Ami saß auf der Terrasse eines Cafés im Herzen von Stare Miasto, der Krakówer Altstadt, auf dem Rydek Glówny und studierte das Menschengewimmel auf dem großen mittelalterlichen Markt, die bunten Sträuße der Blumenhändler und die Tauben, die zu Hunderten auf den Pflastersteinen herumstolzierten. Irgend etwas an Kraków faszinierte Ben-Ami, das lag wahrscheinlich an den polnischen Wurzeln seiner Familie.
Aus den Tuchhallen strömten unablässig Touristen, die allerlei Krempel gekauft hatten, auf den Marktplatz. Ben-Amin betrachtete die grinsenden Köpfe der Skulpturen an der Fassade der langgestreckten Markthalle. Von der Terrasse aus sah man den Turm des Rathauses und auch die gotische Marienkirche. Plötzlich wurde das Panorama verdeckt, ein magerer Pantomimekünstler brachte sich vor ihm in Position und lehnte sich an eine unsichtbare Wand. Mit einer heftigen Handbewegung verscheuchte Ben-Ami den Artisten, der es auf Münzen abgesehen hatte.
Ein junger Kellner kam und nahm Ben-Amis Bestellung eines Eistees entgegen, in dem Moment erklang von irgendwoher melancholisches Trompetenspiel. Die Turmuhr schlug einmal. Die Touristen blieben stehen und spähten zu den ungleichen Türmen der Marienkirche hinauf, und einer von ihnen entdeckte den Trompetenbläser auf dem spitzen Turm der Kuppel. Der Trompeter blies die Melodie viermal und brach jedesmal mittendrin ab. Ben-Ami hatte als Kind die Geschichte dieses Signals von seiner Großmutter gehört und erinnerte sich immer noch daran. Die Melodie wurde in gekürzter Form gespielt, seit die Tataren bei ihrem Überfall auf die Stadt im dreizehnten Jahrhundert dem Trompeter, der das Alarmsignal blies, einen Pfeil mitten in den Hals geschossen hatten.
Ben-Amis Gedanken wanderten zu Agron und ins Frühjahr 1973, als der Oberst ein Kommandounternehmen der israelischen Spezialeinheiten geführt hatte, das zu den tollkühnsten aller Zeiten gehörte. Die Gruppe Agrons war mit Schlauchbooten in Beirut am Ufer abgesetzt worden und von dort mit Geländewagen, die Mossad-Agenten an ihren Landeplatz gebracht hatten, an den Rand des Zentrums von Beirut gefahren, in die Nähe eines Wohnhauses, in dem hundert palästinensische Kämpfer untergebracht waren. Agron schickte in Zivil gekleidete Aufklärer los, die zwei palästinensische Wächter vor dem Haus sahen, dummerweise das Feuer eröffneten und verwundet wurden. Die Palästinenser stürzten an die Fenster des Hauses und schossen, aber Agron zog sich trotz der überwältigenden Übermacht nicht zurück. Er befahl zwei Männern, in den Eingangsbereich des Wohnhauses vorzudringen, sie sollten die palästinensischen Soldaten umbringen, die das Haus verlassen wollten. Die anderen Mitglieder des Kommandos mußten die aus den Fenstern heraus schießenden Palästinenser unter Beschuß nehmen. Dann fuhr er einen mit Sprengstoff beladenen Jeep neben das Haus und stellte den Zeitzünder der Sprengladung ein.
Agrons Männer trugen ihre verletzten Kameraden ans Ufer, um sie zu retten, während das Wohnhaus und die Palästinenser hinter ihnen in die Luft flogen.
Rafi Ben-Ami war einer der beiden Verwundeten. Nach der Aktion im Libanon trennten sich ihre Wege, aber Ben-Ami wußte, daß sich Agron auch im Jom-Kippur-Krieg und während der Kriegszüge in den Libanon 1978 und 1982 hervorgetan hatte. Nach dem Verlust seiner Tochter bei einem Terroranschlag 1996 hatte der Oberst genug von der vorsichtigen Haltung der israelischen Führung und trat vom Posten des Kommandeurs der Elitefallschirmjägereinheit »Sayeret Tzanhanim« zurück.
Amis Erinnerungen wurden jäh unterbrochen, als ein Kind auf dem Marktplatz eine aufgeblasene Papiertüte knallen ließ und zahllose Tauben aufscheuchte, die sich in die Luft erhoben wie ein fliegender Teppich. Sie waren genausowenig Friedenstauben wie Oberst Agron, dachte Ben-Ami.
15
»Wie gefällt es dir bei der SUPO?« fragte Ratamo die gutgelaunte und energiegeladene Saara Lukkari und nahm einen Schluck aus dem Kaffeepott, den er von Nelli zum Vatertag bekommen hatte. Die beiden saßen im Beratungsraum der SUPO in der ersten Etage der Ratakatu 12 und gönnten sich eine
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