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Finnisches Roulette

Finnisches Roulette

Titel: Finnisches Roulette Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Taavi Soininvaara
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erleben. An dem Tag, an dem sie H & S Pharma unter ihre Kontrolle gebracht hatte, würde sie ihrem Gefängnis entfliehen und mit Konrad in den Park, in den Palmengarten, fahren und sich die tropischen Vögel anschauen.
    Anna empfand große Dankbarkeit für Konrad und zugleich Schuldgefühl und Mitleid. Vor langer Zeit waren sie und Konrad ein Paar gewesen. Dann hatte sie Werner getroffen und sich verliebt. Der arme Konrad war über dreißig Jahre in ihrer Nähe geblieben. Warum? Wie, um alles in der Welt, hatte der Mann es geschafft, ihr in all den Jahren so treu und zuverlässig zu dienen? Geschah das aus Liebe, fragte sich Anna. Viele Züge Konrads beschäftigten sie schon seit Jahren. Wohin fuhr der Mann abends mit seinem Motorrad? Mit wem traf er sich, und warum hatte er den Kakadus die Namen Eos und Tithonus gegeben? Es war schlimm, daß sie Konrads Loyalität in Frage stellte, das Marihuana ließ sie anscheinend paranoid werden. Oder doch nicht?
    17
    Die CD-Hülle drückte gegen ihre Rippen, Laura preßte die Handtasche an sich wie einen Säugling, denn sie enthielt Samis Fahrkarte in die Freiheit. Sie saß irgendwo in den verwinkelten Gassen von Kazimierz in einem Café, das einem verliebten jungen Pärchen gehörte, und versuchte die Zeit totzuschlagen, während zwei Männer mit Bürstenhaarschnitt zu ihrem Schutz draußen auf der Straße warteten. Eine Umbuchung des Rückflugs vom nächsten Morgen aufdiesen Tag war nicht möglich gewesen, und im Hotelzimmer fiel ihr die Decke auf den Kopf. Laura fuhr mit der Hand durch ihre Rastalocken und wurde noch nervöser, als sie in den verfitzten Haaren hängenblieb. Der Druck im Kopf ließ nur langsam nach. Nicht einmal die melancholische jüdische Musik konnte sie beruhigen. Vor ihrem geistigen Auge tauchten immer wieder schlimme Bilder auf: der Mord an Berninger, das blutüberströmte Bein des Mannes mit dem Bürstenhaarschnitt und der Pistolenlauf auf ihrer Stirn.
    Neid kam in ihr auf, als sie sah, daß sich die beiden Cafébesitzer hinter dem Tresen an der Hand hielten. Manche Menschen führten ein Leben, in dem alles in Ordnung war. Vermutlich hatte das Pärchen sein Café erst vor kurzem eröffnet, denn als Kasse diente eine verbeulte Blechbüchse, und das Geschirr sah so aus, als hätte man es aus den hintersten Winkeln der Küchenschränke in der Nachbarschaft hervorgesucht. Die Einrichtung ließ den Gast an Großmutters Zeiten denken: Der Lack der schönen alten Holzmöbel blätterte ab, doch die Spitzentischdecken waren strahlend weiß und unbefleckt. Das Café erinnerte sie an Isaac Bashevis Singers Beschreibung seiner Kindheit in einem Warschauer Judenviertel.
    Viele Fragen jagten Laura durch den Kopf. Warum hatten die Araber versucht sie zu töten? Wer hatte sie gerettet, und warum? Auf der Fahrt vom Schloßberg nach Kazimierz hatte sie vergeblich versucht, von ihrem Retter Antworten zu erhalten. Hing das alles mit den Aktien von H & S Pharma zusammen? Sie wunderte sich auch, warum Anna Halberstam zur Erpressung griff, um lächerliche fünf Aktien zu bekommen, wo doch der Alten fast die Hälfte des Unternehmens gehörte.
    Ob Anna ihrer Mutter ähnlich sah? Laura hatte ihre ganze Kindheit hindurch von ihrer Mutter immer wiederdasselbe über Anna gehört, ohne daß sie die Tante nach dem Strampelalter je zu Gesicht bekommen hätte. Anna hatte den Mann ihrer Schwester verführt und so Lauras Familie zerstört. Dann war sie nach Deutschland verschwunden. Für Lauras Mutter trug sie die Schuld an der Scheidung, an ihrer Verbitterung und der selbstzerstörerischen Trunksucht des Vaters. In ihren Erzählungen erschien die Tante stets als Hexe. Wenn die Mutter wütend wurde, hatte sie manchmal behauptet, Laura sei Anna ähnlich. Laura kannte die Frau überhaupt nicht, haßte sie aber trotzdem. In ihren Augen war die Tante ohnehin für immer böse, auch ohne die Schrecken der letzten Tage.
    Als Laura spürte, wie sie sich durch den Weißwein entspannte, wurde ihr klar, daß sie seit der Verhaftung Samis extrem unter Druck gestanden hatte. In aller Ruhe schaute sie sich um. Die alten Tapeten der Wände waren fast gänzlich mit gerahmten, vergilbten Schwarzweißfotos bedeckt. Nach den Pferdekutschen und den Hüten der Frauen zu urteilen, erzählten sie vom Leben in Kazimierz irgendwann Anfang des vergangenen Jahrhunderts.
    Laura stand auf und ging zur Toilette, die von einer Kerze und einer alten Stehlampe beleuchtet wurde. Am großen cremefarbenen Stoffschirm der

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