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Finnisches Roulette

Finnisches Roulette

Titel: Finnisches Roulette Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Taavi Soininvaara
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neigten, würden schon allein wegen ihres Erbgutes aus dem Paarungsspiel herausfallen, noch bevor es begonnen hatte.
    Ratamo stopfte sich einen Priem unter die Oberlippe und richtete seine Aufmerksamkeit auf eine sympathische Oma, die gerade ihren Einkaufswagen in der Mitte der zehn Meter langen Schlange andockte. Hoffentlich war das keine »Gabel-Oma«, dachte Ratamo erschrocken.
    Nur einen Augenblick später stellte sich eine andere Oma, als wäre das die normalste Sache der Welt, hinter die Vorkämpferin, die sich mitten in der Schlange verankerthatte. Und schon gabelte sich die Schlange. Es war also tatsächlich eine klassische »Gabel-Oma«, stellte Ratamo fest. Er wußte, was nun geschehen würde, sollte er versuchen, zur Kasse vorzurücken, wenn er eigentlich an der Reihe wäre. Die giftigen Blicke der alten Frauen, die eine neue Schlange gebildet hatten, brannten schon im voraus in seinem Gesicht. Die Omas waren Meister der psychologischen Kriegsführung.
    Ratamos Handy klingelte und unterbrach seine verärgerten Überlegungen. Der Anrufer war sein Vater. Ratamo beschloß, die Nummer einzuspeichern, damit er künftig den Anruf nicht anzunehmen brauchte, wenn der Alte ihn zu erreichen versuchte.
    »Wie geht’s dir?« fragte Tapani Ratamo ganz ruhig und erhielt als Antwort ein undeutliches Murmeln.
    »Ich dachte, wir könnten uns endlich mal treffen. Ich bin immerhin schon über zwei Monate in Helsinki.«
    »Auf Arbeit … äh, gibt es ziemlich viel zu tun. Ich habe meinen ersten eigenen Fall bekommen … Vielleicht Ende der Woche«, stotterte Ratamo und nahm an, sein Vater würde bemerken, daß er einem Treffen auswich. Und das sollte er auch. Das Gespräch endete mit einer unverbindlichen Vereinbarung, demnächst auf das Thema zurückzukommen.
    Nachdem Ratamo und Nelli zehn Minuten angestanden, bezahlt und ihre Einkäufe hastig eingepackt hatten, konnten sie den Supermarkt endlich verlassen.
    In der Videothek »Nach meinem Geschmack« fanden sich alle Teile des »Herrn der Ringe«. Die und eine Tüte mit vierhundert Gramm Bonbons würden ausreichen, um Nelli zu unterhalten, während ihr Vater sein Rendezvous hatte.
    Im U-Bahn-Tunnel warf Ratamo ein paar Euro in den Hut eines Mannes, der mit einem kleinen Mädchen zusammen auf der Ziehharmonika Evergreens spielte. Als er diemüden und gelangweilten Gesichter der beiden Musikanten sah, erschrak er und dachte: Einen schönen Gruß an die kleine Liisa.
     
    Neugierig musterte Ratamo seine ehemalige Kollegin Maija. Sie saßen im Restaurant Belge, in der Nähe des Bartresens. Er hätte den späten, aber noch sehr hellen Abend lieber im Freien, in einem Straßenrestaurant, genossen, aber Maija haßte Mücken. Rundum unterhielten sich elegant gekleidete Städter kultiviert, und nur ein paar Blicke, müder als sonst, verrieten, daß dieses Mittsommerwochenende zu Ende ging. Wenn Ratamo in einem der Restaurants in der City saß, in die man vor allem ging, um gesehen zu werden, litt er heutzutage nicht mehr unter allergischen Symptomen. Das lag daran, daß er sie selten genug besuchte. Es tat gut, Maija zu sehen.
    Ratamo und Maija wirkten ein wenig gehemmt. Ihre Freundschaft war allmählich erloschen, nachdem Ratamo vor etwa drei Jahren seine Stelle als Wissenschaftler am Institut für Veterinärmedizin und Lebensmittelforschung aufgegeben hatte. Anfangs war er Maija ausgewichen, um seine Nabelschnur zur Vergangenheit zu kappen, und später hatte seine Beziehung zu Riitta Kuurma zwischen ihnen gestanden.
    Als Ratamo den Kellner mit einer appetitlich aussehenden Portion Fisch vorbeigehen sah, beschloß er, das bedrückende Schweigen zu brechen. »Hast du jemals Espenhecht gegessen?« fragte er. »Das ist das einzige gute Hechtgericht.«
    »Nein, bestimmt nicht«, sagte Maija und schaute Ratamo erwartungsvoll an. Sie kannte die mimische Galerie Ratamos genau: Hob er die linke Augenbraue, dann bedeutete das Flirt, spannten sich die Wangenmuskeln an, dann wurde er wütend, brach er den Blickkontakt ab und machtegleichzeitig einen Schmollmund, dann fand er das Gespräch langweilig. Jetzt schaute er sie mit ernster Miene und gehobenen Augenbrauen an: Das kündigte einen Witz an.
    »Also. Erst wird der Hecht filetiert, nur das absolut beste Stück eignet sich. Dann wird das Filet mit Holzdübeln auf einem Brett aus Espenholz befestigt, das man mit viel Geduld auf kleiner Flamme garen läßt, bis der Hecht richtig durch ist. Dann schmeißt man das Hechtfilet weg und ißt das

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