Finnisches Roulette
Brett. Das ist das Beste von einem Hecht.«
Maija lachte. Es war angenehm, Arto zu sehen, obwohl er gestreßt aussah. Die Ursache würde sie durch Fragen nicht erfahren, denn Ratamo gab nur in Nebensätzen oder aus Versehen etwas über sein Innerstes preis. »Willst du wirklich nichts essen?«
»Nein. Ich achte auf die Linie. Allerdings nicht auf meine eigene«, witzelte Ratamo.
Die ehemaligen Kollegen unterhielten sich über das, was sie in den letzten Monaten getan hatten, da gab es genug zu besprechen. Es stellte sich heraus, daß sich nach Ratamos Weggang vieles im Institut geändert hatte. Die Hysterie um den Rinderwahnsinn, die Skrapie-Krankheit und der Fall mit dem Botulinum-Gift hatten bei den Mitarbeitern des Instituts in bisher nicht gekanntem Maße für Arbeit gesorgt, zudem mußten sie neuerdings auch ständig ihre Kenntnisse über biowaffenfähige Viren und Bakterien aktualisieren. Auch SARS war ein Gesprächsthema.
Ratamo lenkte das Gespräch auf die Biotechnologie, und über die Genkarte des Menschen kamen sie auf den ersten genetisch manipulierten Affen und andere genmanipulierte Tiere zu sprechen.
Maija wechselte schließlich das Thema: »Und wie ist deine Arbeit so? Sicherheitspolizei, das hört sich interessant an.« Ratamo erzählte, daß ihm seine Arbeit gefiel, weil sie Phantasie verlangte und viele Herausforderungen bot.Manchmal war man allerdings auch bei der SUPO mit Routinearbeiten eingedeckt, und zuweilen geriet man in allzu schwierige Situationen.
Maija war von Ratamos Offenheit überrascht. »Und die Chefs? Mit wem gerätst du heutzutage aneinander?«
Ratamo erinnerte sich an eine delikate Auseinandersetzung mit Eero Manneraho, dem Leiter der Virologie im Institut. Er schaute Maija mit leuchtenden Augen an. »Der Chef der SUPO, Jussi Ketonen, ist ein Supertyp. Aber mein direkter Vorgesetzter ist trocken und steif wie ein Pharaonenschw…«
Ratamo wurde jäh unterbrochen, Elina schlug ihm mit der Hand auf die Schulter, baute sich vor ihm auf und stemmte die Arme aggressiv in die Hüften. Ratamo wollte etwas sagen, aber als er Elinas Augen sah, die vor Wut Funken sprühten, wurde ihm klar, daß er nichts mehr tun konnte. Ihr Blick erinnerte an eine hungrige Hyäne, und ihr tiefes Einatmen verriet die Lautstärke des Kommentars, der gleich kommen würde. »Du verdammter Mistkerl. Du willst dich ja noch nicht in einer neuen Beziehung binden. Dann nimm das hier, vielleicht bringt es ein bißchen Erleichterung«, brüllte Elina und schüttete ihr Glas über Ratamos Kopf aus.
Ein paar Leute, die in der Nähe standen, brachen in Gelächter aus, andere beobachteten den Zwischenfall peinlich berührt. Ratamo wischte sich das Bier aus den Haaren und überlegte, ob ein Fluch über ihm lag, oder warum regnete es in seinem Leben Scheiße, ohne daß er sie bestellt hätte?
Im gleichen Augenblick bemerkte er, wie Lapa Väisälä um die Ecke kam, an den Bartresen ging und eine gutaussehende Frau ansprach, die dort allein saß. »Gibst du mir einen Drink aus, wenn ich das Taxi zu mir nach Hause bezahle?« sagte Väisäla und vertrieb damit die Schöne von ihrem Barhocker.
MONTAG
20
Eero Ojala bekam gerade das Tablett mit dem Frühstück und gähnte herzhaft, als die MD-80 der Finnair plötzlich absackte. Das Flugzeug fiel wie ein Amboß, rundum waren Schreie und angstvolle Rufe zu hören. Dann bebte die Maschine, vibrierte und flog schließlich weiter, als wäre nichts geschehen. Ojala zitterten die Hände, kalter Schweiß trat ihm auf die Stirn, und sein Mund war trocken. Die Panik packte ihn an der Schulter. Nach einigen Minuten ruhigen Flugs hörte man wieder das übliche Stimmengewirr, obwohl Ojala um sich herum immer noch ängstliche Blicke bemerkte.
Deutlich sah er das »Mädchen auf dem Sofa« vor sich, er hatte den ganzen Abend in seinen Büchern Bilder des Kunstwerks studiert. Das »Mädchen auf dem Sofa« erinnerte ihn an Karoliina, dieser Gedanke beruhigte ihn. Das Gemälde sollte seine Entscheidung symbolisieren, die Kunst über die menschlichen Beziehungen zu stellen. Das hatte Elli auch getan.
Urplötzlich fiel die MD-80 wieder in Richtung Erde. Die Maschine zitterte und hüpfte, die Passagiere schrien vor Angst, und im Frachtraum polterte es. Mit weißen Knöcheln umklammerte Ojala die Armlehne, sein Gesicht war von der Angst gelähmt, starr blickte er vor sich hin. Man konnte die Panik riechen. Ojala atmete nicht, Bilder aus den Nachrichten schwirrten ihm durch den Kopf:
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