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Finnisches Roulette

Finnisches Roulette

Titel: Finnisches Roulette Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Taavi Soininvaara
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Frage.
    Ojala rief die Seiten von
Trenitalia
auf und suchte den Fahrplan Mailand-Verona. Er seufzte vor Erleichterung, als er bemerkte, daß die Züge sehr oft verkehrten und mit dem schnellsten die Fahrt nur fünfundsiebzig Minuten dauerte. Dann würde er nur eine halbe Stunde später als mit dem Flugzeug in Verona sein und käme zu dem Treffen um eins nur ein paar Minuten zu spät. Es war ja wohl egal, wie er nach Verona reiste, ihn erwartete sowieso niemand auf dem Flughafen.
    21
    Die rot-weiß karierten Tischdecken und die italienische Dekoration des Restaurants »Nerone« in Punavuori weckten in Ratamo Erinnerungen an eine Touristenreise nach Marsala auf Sizilien in seiner Studienzeit. Er und Himoaalto hatten in einer bei den Einheimischen beliebten Trattoria gerade ein festliches Abendessen verspeist, als eine Tarantella erklang. Die Italiener fingen voller Begeisterung an zu tanzen. Die beiden Studenten mußten sich, ob sie wolltenoder nicht, mit einreihen und tanzten stillschweigend im Rhythmus der Musik aus dem Restaurant hinaus, ohne zu bezahlen. Für arme Studenten war es eine Menge Geld, das sie so gespart hatten. Heute war Ratamo Polizist.
    Nelli und Ratamo warteten in der Eckloge auf ihre Pizza. Ratamo hatte eine
Alla susu
bestellt und seine Tochter eine
Vegetariana
. Das Mädchen aß immer noch gern pflanzliche Kost, obwohl sie nicht mehr von der Vegetarierin Riitta beeinflußt wurde. Die Gaststätte war nicht bis auf den letzten Platz besetzt wie sonst zur Mittagszeit. Ratamo vermutete, daß viele Stammgäste direkt nach dem Mittsommerwochenende ihren Jahresurlaub angetreten hatten.
    In der Ratakatu warteten die Ermittlungen auf ihn, bei denen höchste Eile geboten war. Er hatte sich den ganzen Vormittag mit H & S Pharma und dem Tochterunternehmen Genefab beschäftigt. Ihr Mittagessen kostete zwar reichlich wertvolle Arbeitszeit, aber er hatte Nelli versprochen, mit ihr ins »Nerone« zu gehen, und Versprechen mußte man halten. Anstrengend wirkten die Verpflichtungen eines Alleinerziehenden nur dann, wenn man mit Arbeit eingedeckt war.
    Ratamo hatte sich längst noch nicht von der Demütigung am Vorabend erholt. Wenn es nach ihm ginge, dürften die Frauen künftig ohne ihn auskommen. Elina wollte er nie wieder sehen, und die Vorstellung, Riitta oder Maija zu treffen, fand er auch nicht sonderlich reizvoll. Dann fiel ihm ein, daß er seinem Vater genauso auswich, und er fragte sich, wovor, zum Teufel, er eigentlich auf der Flucht war.
    Ratamos Blick blieb an einem Briefträger mit großer Nase hängen, der die Folgen seines Mittsommerrausches mit einem Bier behandelte und so rot aussah wie eine Cocktailkirsche. Wenigstens diese Leiden waren ihm dank Wrede erspart geblieben. Zu seinem Erstaunen bemerkte Ratamo, daß er an dem Schotten etwas Gutes gefunden hatte.
    Dann plagte ihn sein schlechtes Gewissen, er ließ Nelli derzeit einfach zu viel fettiges Fastfood essen. Vielleicht taugte er nicht als Elternteil, dachte Ratamo, und erinnerte sich plötzlich an die gestrige Brandrede der Mutter von Nellis Freundin über das Intensivtraining der kleinen Liisa. »Ist diese Veera eine gute Geigenlehrerin?« fragte Ratamo seine Tochter.
    »Die ist ganz nett.«
    »Und wenn du nun mehr Stunden nehmen würdest? Wie wäre es, wenn du ab jetzt richtig ernsthaft übst?« Er wollte testen, was Nelli darüber dachte.
    »Blödmann. Das ist doch nur ein Hobby. Man muß auch Zeit haben, seine Freunde zu treffen.«
    Ratamo grinste, als ihm klar wurde, daß er Nellis Intelligenz einmal mehr unterschätzt hatte. Das Mädchen entwickelte sich in einem solchen Tempo, daß es schwierig war, auf dem laufenden zu bleiben. Ratamo entdeckte bei seiner Tochter viele seiner eigenen Charakterzüge: Auch Nelli beobachtete das Leben anscheinend mit den Augen eines Außenstehenden und zog sich oft in ihre eigene Gedankenwelt zurück. War das als Alternative zur Oberflächlichkeit besser, oder müßte das Mädchen lernen, das Leben etwas lockerer zu nehmen als ihr Vater?
    Eine stark geschminkte ausländische Kellnerin brachte die dampfenden und köstlich duftenden Pizzen. Nelli machte sich über ihre Portion her, und Ratamo griff nach den Gewürzen. Ein Werftarbeiter im Overall, der am Nachbartisch auf sein Mittagessen wartete, schaute immer verblüffter drein, je mehr Senf und Ketchup Ratamo auf seine Pizza spritzte. Als er dann noch genauso hemmungslos Knoblauch, Tabasco und Oregano auf seine
Alla susu
schüttete, konnte der Mann seine

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