Finnisches Roulette
Linnanmäki geht.«
»Aber wir beide machen überhaupt nichts mehr zusammen.«
Der Vorwurf war nicht zu überhören. Vor zwei Wochen waren sie noch die besten Kumpels gewesen, jetzt murrte und quengelte Nelli ständig, und das zu Recht. In der letzten Zeit hatte sie mehr bei Marketta gewohnt als zu Hause. Wegen Riittas Umzug nach Holland war alles durcheinandergeraten. »Vergiß nicht, mein Schatz, daß dein Vati in etwa zwei Wochen Urlaub hat. Dann fahren wir ins Ferienhaus und schalten alle Telefone ab. Keine Macht der Welt kann unseren Urlaub stören.«
»Warum ist Riitta ins Ausland gezogen?« fragte Nelli ganz unvermittelt in mißmutigem Ton.
Die Frage kam so direkt, daß Ratamo vollkommen verblüfft war. Er wußte es ja wirklich nicht. Die Frauen waren für ihn ein genauso großes Mysterium wie der Urknall. »Das kann ich nicht sagen … Das sind so diese Dinge unter Erwachsenen. Riitta wollte die Arbeitsstelle wechseln.« Ihm schoß der Gedanke durch den Kopf, daß er Riitta vielleicht anrufen und ihr erklären sollte, was mit Elina geschehen war, aber sein Stolz siegte. Schließlich war sie es ja, die sich ins Ausland abgesetzt hatte.
Ratamo zog den Reißverschluß zu, stellte die Tasche auf den Fußboden und überlegte, ob er das Bett machen sollte. Aber wozu eigentlich. Als das Handy an seinem Oberschenkel vibrierte, schrak er zusammen. Er holte es aus der Tasche und sah auf dem Display den Namen Elina West. »East of Eden and West from hell«, murmelte Ratamo und steckte das Gerät wieder ein.
»Essen wir noch ein Karamel-Lakritze-Eis, bevor wir losgehen?« schlug Ratamo vor, um seine Tochter zu besänftigen.
Nelli schwieg demonstrativ und ging in ihr Zimmer. Mit einem Blick durch das Schlüsselloch vergewisserte sie sich, daß der Vater ihr nicht folgte, und holte dann das Blatt Papier unter ihrem Kopfkissen hervor, das sie in seinem Arbeitszimmer stibitzt hatte. Warum merkte er nicht, daß es verschwunden war? überlegte sie verärgert. Sie fürchtete, ihr Vater könnte deswegen Probleme bekommen. Ob sie das Blatt unauffällig in seine Tasche stecken sollte?
»Wir gehen in einer Viertelstunde los!« rief Ratamo. Im selben Augenblick klingelte es an der Tür. Hoffentlich kam Marketta nicht, um Nelli abzuholen. Ratamo wollte Ketonen sehen und ihn aushorchen, wer sein Nachfolger werden würde.
Er öffnete die Tür und konnte seine Verärgerung nicht verbergen, als er seinen Vater im Treppenhaus sah. Die Zeiger der Standuhr im Flur näherten sich der Sieben, er müßte bald zum Flughafen fahren. Ratamo bat seinen Vater nicht einmal herein. »Das ist jetzt wirklich ein ziemlich ungünstiger Zeitpunkt. Ich bin gerade im Begriff zu gehen, eine Dienstreise. Warum hast du nicht vorher angerufen?«
»Mit dir läßt sich einfach kein Treffen vereinbaren. Ich habe es zwei Monate lang versucht. Es dauert nicht lange«, entgegnete Tapani Ratamo, schob die Tür auf und trat herein.
Ratamo überlegte, ob er Kaffee kochen sollte, rechnete dann aber aus, daß dafür keine Zeit blieb. Er folgte seinem Vater in die Küche und setzte sich ihm gegenüber an den alten Bauerntisch.
Tapani Ratamo lächelte verlegen, als Nelli in der Tür auftauchte.
»Das ist dein Opa. Ihr habt euch vor anderthalb Jahren bei der Beerdigung der Uroma gesehen. Erinnerst du dich?« fragte Ratamo.
Nelli schaute befangen zu Boden. Sie bekam von ihremGroßvater eine Tafel Schokolade und verschwand in ihrem Zimmer.
Ratamo senior brach das peinliche Schweigen. »Machst du derzeit auch noch etwas anderes als arbeiten? Hast du überhaupt irgendwelche Hobbys?«
»Steherrennen«, 1 erwiderte Ratamo, aber anscheinend verstand sein Vater den Witz nicht. »Du warst doch früher so felsenfest davon überzeugt, daß du nie nach Finnland zurückkehren wirst. Es sei ein kaltes und teures Land, hast du gesagt.«
Tapani Ratamo lächelte. »Meine Meinung hat sich möglicherweise geändert, nicht aber die Tatsache, daß ich recht habe. Ich habe meine Villa in Spanien verkauft und wohne jetzt in Töölö zur Miete.«
Ratamo konnte sich nicht erinnern, wann er das letztemal erlebt hatte, daß sein Vater lächelte, geschweige denn eine witzige Bemerkung machte.
Der ältere Ratamo sah in der Ecke einen mit leeren Bierflaschen vollgestopften Plastikbeutel und warf einen kurzen Blick auf die vor Müdigkeit geröteten Augen seines Sohnes. »Du hast doch nicht etwa Alkoholprobleme?«
»Nein. Die Hälfte des Kühlschranks ist mit Bier gefüllt.« Ratamo
Weitere Kostenlose Bücher