Finns Welt - 01 - Finn released
er ja sogar daran gespart, aber ich vermute, du hast ihn irgendwie überzeugt, nicht wahr?«
»Na ja …«, murmle ich und beiße in mein Brötchen. Mein Vater tritt auf die Terrasse und sieht den Zettel vor mir auf dem Tisch liegen. »Kaum gedruckt, schon wird es rumgezeigt«, kommentiert er die Situation.
»Dazu ist es da«, sagt meine Mutter.
Im Wohnzimmer stehen die ersten Produkte, über die sie in ihrem neuen Job schreiben muss. Sie wurde genommen. Die gestern angelieferten Sachen sind ein Toaster mit Timer sowie ein Sprudelbad für die Füße. Papa setzt sich und quetscht Ahornsirup aus der Plastikflasche. Die Flasche furzt. Er kichert. Er zeigt mit der anderen Hand auf mich und sagt: »Die werden am Montag der Lokalzeitung beigelegt. Fünfzehntausend Stück.«
Ich nicke. Klingt gut. Aber sich mit einem Werbeblatt bei der Lokalzeitung einzukaufen, hat bestimmt mehr als meine 20 Euro gekostet.
»Was ist mit der Idee, herauszukriegen, wer bald Geburtstag hat oder heiratet?«, frage ich. »Damit die Werbung direkt zu denen kommt, die Einladungskarten brauchen?«
»Die Idee ist gut, Finn«, sagt mein Vater, »aber wie willst du das machen? Willst du im Einwohnermeldeamt einbrechen und die Daten klauen?«
Ich würde gern warum nicht sagen, sage aber nur: »Mama, gibst du mir mal das Salz?«
Meine Mutter will zu einem Satz ansetzen, schnappt jedoch nur kurz nach Luft und hält dann wieder den Mund.
»Was ist, Sabine?«
»Ach, nix.«
Mein Vater lehnt sich zurück und stellt die Sirupflasche ab. »Komm! Nicht erst was sagen wollen und einen dann mit ›ach, nix‹ abspeisen.«
»Das ist zu extrem«, wiegelt meine Mutter ab. »Das geht nicht.«
»Was geht nicht?«, frage jetzt auch ich, denn »extrem« hört sich gut an.
Meine Mutter legt ihr Messer neben den Teller und gestikuliert mit den Händen, als müsse sie die gesagten Worte direkt wieder wie Qualm in der Luft verwischen. »Vielleicht könnte man …«, sie schüttelt den Kopf, »nee …«
»Jetzt sag’s schon!«
»Also gut. Vielleicht könnte man die Werbeblätter an Besucher im Altersheim verteilen. Also nicht an die Bewohner, sondern an deren Angehörige.«
»Du meinst, weil …«
»Ja, weil die früher oder später sterben. Und dann hagelt es Trauerkarten. An die Beerdigungsinstitute selber kommt man nicht ran, weil die selbst drucken wollen, aber wenn die Angehörigen darauf bestehen, dass das bei uns gemacht wird, müssen sie darauf eingehen. Man lehnt Trauernden keine Wünsche ab.«
Ich sehe, wie es hinter der Stirn meines Vaters arbeitet. »Das kann man nicht bringen.«
»Hast recht«, stimmt meine Mutter ihm zu, aber ich sehe, wie sie ganz sacht lächelt. Sie hat den Gedanken in den Kopf meines Vaters gesät und diese Saat muss nicht sofort aufgehen. Ich finde es nicht so schlimm. Von irgendwas muss man ja leben. Und wenn es vom Sterben ist.
Ein paar Stunden später sind wir alle auf dem Fußballplatz: meine Eltern, Lukas’ Eltern, seine Geschwister, seine Freundin Vivien und Flo mit seiner spindeldürren Mutter. Wir stehen hinter der Bande und feuern Lukas an. Gerade rennt er genau an uns vorbei und treibt einen Angriff auf der rechten Flanke voran. In der einen Sekunde, die es braucht, bis er an uns vorbeigestürmt ist, spüre ich die Hitze, die sein Körper abstrahlt, und rieche den Schweiß, der mir scharf in die Nase sticht. Er keucht und pumpt wie eine Fußballdampfmaschine. Er gibt alles. Es macht mir Spaß, das Spiel anzusehen, aber danach will ich unbedingt mit den Jungs eine Sonntags-Quest starten. Ich habe mir überlegt, dass wir in ein Altersheim gehen, Dienstkleidung klauen und uns dann umhören, wer demnächst den Löffel abgibt. Klingt hart, aber irgendwie auch spannend. Außerdem sind sonntags viele Angehörige zu Besuch, die man belauschen kann.
Lukas flankt den Ball in die Mitte zu einem seiner Mitspieler. Ein wendiger Türke steigt hoch und setzt zu einem Kopfball an. Dummerweise ist er aber nicht lang genug und streift den Ball nur ein wenig von unten, sodass dieser ohne jede Wucht in die Hände des gegnerischen Torwarts segelt, der ihn mühelos fängt.
»Oooochhhh«, seufzen die Fans. Alex und Venja klettern an der Bande herum wie kleine Äffchen. Vivien ruft »Lukaaaaas!« und klatscht in die Hände. Sie ist schon vierzehn und geht in die achte Klasse. Sie hat nussbraune Augen und ihre Haare sind zu einem kurzen Pferdeschwanz gebunden. Im Gegensatz zu Lukas ist sie nie sitzen geblieben, aber auch sie
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