Finns Welt - 01 - Finn released
könnten, wenn das so weitergeht. Ich sehe es schon vor mir, wie meine Mutter beim ausgiebigen Sonntagsfrühstück noch einmal richtig tollen Knusperspeck brät und selbst gemachte Marmelade auf den Tisch stellt. Dann esse ich, Vater und Mutter seufzen, ich blicke hoch, Marmeladenreste am Mund, und sie bringen mir langsam wie einem kleinem Kind bei, dass wir das Haus verkaufen und wegziehen müssen. In das Haus unten an der Kreuzung, wo die Lokalzeitung als Klumpen aus der Tür gewischt wird. Satellitenmenschen.
»Es gibt Händler von virtuellen Gegenständen, die machen Kohle«, sagt Flo.
»Das habe ich gehört«, sagt Lukas, »die verkaufen Schwerter und Rüstungen aus Pixeln und kriegen dafür echtes Geld. Das stimmt wirklich?«
»Aber klar«, bestätigt Flo.
»Wie bescheuert muss man sein! Hey, hier hast du
500 Euro, verkauf mir mal eine Klinge aus Daten«, witzelt Lukas.
»Man bezahlt nicht für die Daten, sondern für die Zeit, die es bräuchte, sich diese Klinge selbst zu erspielen«, erklärt Flo. »Es gibt Profis, die leben davon, einen Charakter bis Level achtzig hochzuspielen und dann den ganzen Account zu verkaufen. Dafür kannst du mehrere Tausend Dollar absahnen.«
»Da kauft dann also jemand eine superstarke Spielfigur, die schon alles erreicht hat, ohne selbst den Finger krumm gemacht zu haben?« Lukas wirft Flo einen ungläubigen Seitenblick zu.
»Das heißt nicht Spielfigur, das heißt Charakter, Spielfiguren gibt’s bei Halma!«
»Was für ’ne Riesenverarsche!«, sagt Lukas. »Das ist doch nicht zu fassen! Ich dachte immer, ihr Computerspieler habt alle nur keinen Sex, aber das ist ja noch krasser. Ihr kauft euch einfach einen starken Charakter, weil ihr zu faul seid, ihn selbst zu entwickeln.«
Ich weiß nicht, ob Lukas gemerkt hat, was für ein tolles Wortspiel ihm da gerade gelungen ist. Ich sage aber nichts, weil ich darüber nachdenke, ob Lukas mit Vivien schon Sex hat. Flo fragt sich das sicher auch. Wir haben ihn bislang noch nicht gefragt. Er prahlt auch nicht damit. Das allerdings könnte ein Zeichen dafür sein, dass sie es schon miteinander machen, so richtig, aus Liebe und alles, wie ein Paar.
Wir gehen ein Stück und schweigen. Flo zieht seinen Rucksack nach vorn, trinkt den ersten Schluck aus seiner Wasserflasche und verstaut sie wieder. »Mann, Lukas, stell dir mal vor, da käme jemand mit einer Spritze an. Und der sagt dir: Wenn ich dir dieses Serum ins Bein pumpe, kannst du ab sofort so gut dribbeln, flanken und schießen wie Thomas Ballack. Würdest du da ablehnen?«
Lukas prustet los. »Thomas Ballack? Wie geil ist das denn? Alter Schwede!«
Ich beuge mich ein wenig zu Flo und flüstere: »Er heißt Michael Ballack. Und er ist schon so gut wie weg vom Fenster.« Lukas lacht sich weiter kaputt.
»Meine Güte, es geht doch ums Prinzip«, sagt Flo. »Ich könnte auch sagen, da kommt einer mit einer Spritze und danach kannst du Fäden schießen wie Spider-Man.«
Irgendwann kriegt Lukas sich wieder ein. »Beim Sport würde ich ablehnen«, sagt er schließlich. »Ich hätte keinen Spaß mehr daran, wenn ich immer wüsste, dass ich nicht selbst so gut bin. Ich würde ja auch nicht dopen.«
»Und ich kaufe keinen Charakter«, sagt Flo.
Beide nehmen ihre Disziplinen sehr ernst. Für unsere Quest ist das gut. Ich denke nicht, dass auf dieser Tour jemand schummeln wird.
Die Häuser nehmen ein Ende. Vor uns liegen links und rechts der Straße jetzt Felder, Wiesen und die Gräben, in denen wir neulich nach Pfand gesucht haben. Ich entdecke den Busch, aus dem ich den alten Rucksack mit dem iPod gezogen habe. Vielleicht gibt diese Quest ja auch wieder ein wenig Geld her. Und selbst wenn nicht, lenkt sie mich wenigstens einen Tag lang von meinen düsteren Gedanken ab. Einen Tag, das darf ich ja wohl! Ich bin dreizehn Jahre alt, ich müsste mir eigentlich nicht so viele Sorgen um die Firma meines Vaters machen. Mit dreizehn muss man sich im Grunde gar keine Sorgen machen. Man muss sich nur an den Tisch setzen und meckern, wenn kein Speck da ist, als wüsste man nicht, dass alles Geld kostet und man Scheine nicht vom Baum pflückt.
Weiß ich aber.
Das ist mein Problem.
»Jungs!«, sage ich und zeige nach vorne. Die Straße führt genau auf das Haus der alten Frau Schepers zu und macht dann eine Linkskurve. Flo streckt beide Arme von sich weg und kneift die Augen zusammen, als könne er auf die Entfernung die Breite abschätzen. »Hm, das Gelände ist definitiv breiter als
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