Finns Welt - 01 - Finn released
Kunde, ganz bestimmt! Ich renne die Treppe runter und mache dem Mann die Tür auf, noch bevor sein Daumen unseren Klingelknopf erreicht hat.
»Hallo!«, sage ich und hoffe auf einen Großauftrag, denn der Mann hat ja einen Aktenordner dabei.
»Hallo«, sagt er, »mein Name ist Entenmeyer. Ich komme vom Zirkus Ratolli. Ich sammle für unsere Tiere im Lager, denn uns wird das Futter knapp und …«
Meine Mutter kommt die Treppe herauf. Sie hat einen leeren Wäschekorb in der Hand. »Sorry, Schatz. Ich war gerade unten, eine Maschine anwerfen.«
Herr Entenmeyer nickt ihr kurz zu. »Also, die Tiere«, sagt er dann und klappt ungefragt seinen Ordner auf. Es sind Bilder von Kamelen und Elefanten darin und alte, vergilbte Zeitungsartikel.
»Ist das Ihr Ernst, Herr Entenmeyer?«, frage ich ihn.
Der Mann erschrickt, als ich seinen Namen sage. Niemand, der einen überrumpelt, ist darauf gefasst, dass man sich tatsächlich seinen Namen merkt. Egal, ob Bettler an der Tür oder Call-Center-Leute am Telefon – sie denken alle: Ich verdreh den Leuten mal schnell den Kopf, zocke etwas Geld und verschwinde dann wieder im Nebel. Merkt man sich aber ihren Namen, hat man sie schon ein Stück weit aus diesem schützenden Nebel ans Licht gezerrt. Und Licht mögen diese Typen nicht. Kein Wunder, im Grunde sind sie ja auch Vampire.
»Sie wollen also Geld für Ihren Zirkus und alles, was Sie zu zeigen haben, sind Zeitungsartikel von 1998 und 2003?« Der Zirkusvampir wird rot. Er hat nicht damit gerechnet, dass ich auf das klein gedruckte Datum achte. »Außerdem sehen Ihre Tiere so abgemagert aus, als würden Sie das Futtergeld selber versaufen.«
»Finn!«, sagt meine Mutter entsetzt, als stünde da der Bundespräsident vor uns, den man nicht beleidigt.
Vampir Entenmeyer lässt sich nicht beeindrucken und spult weiter seinen Standardtext ab. »Es sind harte Zeiten für den Zirkus. Wir sind nicht mehr modern. Wir müssen uns heute gegen Hightech-Freizeitparks durchsetzen.«
Ich zeige auf das Firmenschild neben unserer Hausnummer und sage: »Es sind harte Zeiten für klassische Druckereien. Wir sind nicht mehr modern. Wir müssen uns heute gegen Hightech-Internet-Druckereien durchsetzen.«
»Er meint es nicht so«, sagt meine Mutter entschuldigend, stellt den Plastikkorb ab, greift in ihre Hosentasche und reicht dem Mann 2 Euro.
»Mama!«, rufe ich entsetzt, weil ich es nicht fassen kann.
»Augenblick«, sagt meine Mutter zu Vampir Entenmeyer und zerrt mich ein Stück in den Flur. »Finn, was soll das?«
»Dasselbe könnte ich dich fragen! Du gibst dem Mann 2 Euro und drinnen steht ein Fußwhirlpool, über den du Werbetexte schreiben musst, um Geld zu verdienen. Und dem gibst du einfach so 2 Euro – ich fass es nicht!«
»Und warum, denkst du, dass ich das mache?«, fragt meine Mutter ganz ruhig.
Ich stutze.
»Weil ich nicht will, dass man rumerzählt, wir könnten uns nicht mal mehr eine Tierspende leisten. Ich halte ja sogar noch meinen neuen Nebenjob geheim.«
Das verschlägt mir die Sprache. Ich schaue zum Vampir, der immer noch in der Tür steht. Und plötzlich kommt mir eine Idee.
»Herr Entenmeyer«, sage ich und gehe zurück zur Tür. »Seien wir doch ehrlich. Sie brauchen keine Almosen, Sie brauchen dringend neues Publikum. Oder?«
Herr Entenmeyer nickt zögerlich.
»Ich denke, es ist ein Wink des Schicksals, dass Sie bei uns geklingelt haben. Hier kriegen Sie nämlich das Komplettpaket. Gestaltung, Design, Produktion. Mein Vater macht Ihnen einen 1-a-Werbezettel zum Sonderpreis. Alles ganz professionell, verstehen Sie? Normalerweise schustern Zirkusse ihre Werbezettel doch selbst auf einem alten Wohnwagen-PC zusammen.«
Herr Entenmeyer grinst verlegen.
»Was nützen Ihnen 2 Euro Spende, wenn Sie bei uns eine Superwerbung kriegen können?« Ich ziehe den Mann am Ärmel ins Haus. »Kommen Sie, ich führe Sie nach unten. Sie können das gleich mit meinem Vater besprechen.«
»Nein, nein«, stammelt der Mann und stemmt die Füße in den Boden wie ein Hund, der nicht zum Tierarzt will.
»Mein Papa ist nicht nur Druckermeister, er hat auch Gestaltung studiert. Er hat sogar noch unter Otto Floss gelernt. Den kennen Sie doch?« Während ich nun voll in meinem Element bin, schaut der Mann flehend zu meiner Mutter, als könne die ihm helfen, aber die lächelt mittlerweile und hat die Arme vor der Brust verschränkt. Offensichtlich findet sie wohl doch gut, was ich mache. Im Gesicht von Vampir Entenmeyer tanzen nun
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