Finns Welt - 01 - Finn released
Häuser und Gärten. Ein paar Minuten gehen wir wortlos geradeaus, bis wir außer Sichtweite sind. Ich packe das Handtuch weg und befestige mein Mikro wieder richtig. Flo und Lukas verkabeln sich ebenfalls neu, als würden sie den ganzen Tag lang nichts anderes tun. Flo strahlt schon wieder und hat sein Missgeschick am Pool offenbar verdrängt. Lukas lacht zwar, hat aber eine Falte auf der Stirn. Schritte nähern sich, große schwere Schritte. Jan-Eric und seine Kamera. Wir bleiben stehen. Er sieht uns an, stellt die Ausrüstung auf dem Boden ab und beginnt zu klatschen. Erst langsam, dann in immer schnellerem Rhythmus. Applaudierend sagt er: »Das ist ja Wahnsinn! Ich glaube das nicht. Hab ich das eben wirklich gesehen und gehört?«
Ich lächle.
»Woher wusstest du, dass die Frau gar nicht in dem Haus wohnt und mit dem Mann da drin eine Affäre hat?«
»Wusste ich nicht.«
»Aber wie …?«
»Ich beobachte und ziehe meine Schlüsse.«
Jan-Eric sieht mich genauso ratlos an wie Lukas und Flo. Sie stehen um mich herum und warten auf eine Erklärung.
»Warte eben, bevor du antwortest«, sagt Jan-Eric, hebt die Kamera auf und richtet sie auf mich. »Gut, jetzt. Aber sieh mich an, nicht die Kameralinse.«
Ich zwinge mich dazu, an der Linse vorbei zu Jan-Eric zu sehen, und sage: »Auf der Terrasse standen zwei Gläser Sekt. Die Frau kommt am Nachmittag frisch aus dem Bett auf die Terrasse und nimmt sich noch ein Schlückchen. Sie trägt ein schwarzes Nachthemd aus Seide. Was müsst ihr noch wissen? Oder läuft eure Mutter, wenn sie zu Hause ist, in schwarzen Seidennachthemden und Reizwäsche herum und trinkt tagsüber den Rest Sekt aus der Flasche?«
Lukas schaut in die Ferne. Er weiß, das ist alles logisch, aber es hätte auch in die Hose gehen können. Jan-Eric nickt, drückt auf Pause und sagt: »Reden wir weiter, aber lass uns laufen dabei.« Wir nehmen wieder unser Schritttempo auf. »Wieso bleibst du beim Lügen so locker?«, will Jan-Eric wissen.
»Was würde es helfen, nervös zu werden?« Ich schaue dabei nicht in die Kamera und nicht einmal zu Jan-Eric. Ich gucke einfach nur zum Horizont. Jan-Eric freut sich spürbar und ich fühle mich wie ein echter Darsteller. Ich frage mich, was echte Darsteller verdienen. In Gedanken übergebe ich meine Gage schon meinem Vater, damit er sein Geschäft retten und sein Buch schreiben kann. Na ja, vielleicht nicht alles. Ein bisschen darf ich wohl auch behalten, schließlich schwimme ich hier durch fremde Pools und klettere über Dächer.
»Sehr gut«, sagt Jan-Eric, sieht kurz was auf dem Display nach und richtet die Kamera auf Flo, um zu filmen, wie er gerade für mich 50 Bonuspunkte in der Kategorie Magie/Psychologie eintippt.
DIE BRIEFMARKENSAMMLER
»Also gut«, sagt Jan-Eric zu Flo, während wir geradeaus die Straße hinabgehen. »Deine Mutter hat deinen echten Papa rausgeworfen, da warst du sechs. Du hast geweint und an seinem Hemd gezerrt, als er ging.«
»Nein«, erwidert Flo. »Ich war drei und habe das gar nicht richtig mitbekommen.«
Jan-Eric schaut Flo an und lächelt. Er sieht auf die lange, hindernisfreie Straße vor uns. Er tippt etwas in sein iPhone. »Du warst sechs. Wir können das nachstellen, wie eine Erinnerung. Du erzählst davon hier auf der Quest, am besten an einem Waldrand oder so. Dann blenden wir um in Schwarz-Weiß, spielen traurige Musik ein und zeigen in Zeitlupe eine Szene, wie ein kleiner Junge am Hemd seines Papas zerrt, der von der Mama aus dem Haus geworfen wird.«
Lukas rollt mit den Augen.
»Das wäre nicht die Wahrheit, aber später hat es sich im Grunde so angefühlt.«
Lukas zischt.
»Du begreifst es, Flo!« Jan-Eric klopft ihm auf die Schulter. »Fernsehen muss Gefühle erschaffen. Jeder bekommt darin eine Rolle. Deine Rolle ist die des enttäuschten, aber tapferen Jungen, der ohne Vater auskommen musste. Wir müssen nur noch entscheiden, ob du dich eher lebensmüde in die Quest hineinbegibst oder eher mutig. Das ist eine Grundsatzfrage für den ganzen Film. Macht ihr drei das, weil ihr alle einen seelischen Knacks habt? Oder weil ihr euren Eltern was beweisen wollt? Oder …«
»Wir machen das, weil es Bock macht!«, schimpft Lukas.
Und weil es Geld gibt, denke ich mir im Stillen.
»Ist da einer stinkig, obwohl ihm jemand eine Chance gibt, ins Fernsehen zu kommen?«, fragt Jan-Eric.
»Ich hab nichts gegen das Fernsehen«, sagt Lukas, »aber ich habe was dagegen, wenn man lügt.«
Mir gefällt nicht, dass Lukas
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