Finns Welt - 02 - Finn reloaded
als Synthesizer-Pop.
»Danke.«
»Was ist Ihr Lieblingslied von Depeche Mode?«, frage ich.
Er zögert nicht mal oder wundert sich über die Frage, sondern antwortet, als sei es ganz normal, täglich danach gefragt zu werden: »Policy of Truth«. Super. Er kennt sich aus. Ich reiche ihm die Hand und ziehe ihn rüber zu Sophia. »Sophia? Johann-Wolfgang!«, sage ich zu Flos Mutter, als wir vor ihr stehen. Sie will nicht mit »Frau Hertl« angesprochen werden. Das klingt ihr zu alt. »Johann-Wolfgang? Sophia!«, sage ich zu Johann-Wolfgang. Die beiden stehen sich etwas verloren gegenüber, denn ich muss noch den Startknopf drücken, damit sie zu flirten anfangen. Was der Startknopf ist, habe ich gerade herausgefunden. Ich stehe zwischen den beiden wie ein Ringrichter und sage ohne weitere Erklärung: »Policy of Truth!« Dann entferne ich mich. Nach ein paar Schritten schaue ich mich um und stelle zufrieden fest, dass sie sich angeregt und mit strahlenden Augen unterhalten. Der Praktikant verlässt den Raum und hämmert mit seinen Daumen auf sein Smartphone ein.
Nach der Feier stehen unsere Familien zwischen den Häusern auf der Straße. Lukas’ Geschwister Venja und Alex turnen wie immer an ihm herum. Er hat die Arme ausgestreckt wie ein Kleiderständer, sodass seine kleine Schwester daran Felgaufschwung machen kann wie an einer Stange auf dem Spielplatz. Sein kleiner Bruder simuliert Foulspiele, indem er ihm von hinten gegen die Hacken tritt, aber Lukas reagiert gar nicht. Ihn könnte ebenso gut eine Maus am Schuh kratzen. Als Alex allerdings die Achillessehne trifft, dreht Lukas sich um und zischt ihn an. Sophia zieht uns ein Stück beiseite und sagt mit einem listigen Lächeln: »Das war ein netter Mann, den du mir da vorhin vorgestellt hast, Finn. Er war tatsächlich Depeche-Mode-Fan. Er kannte alle Platten. Er konnte sogar was Fachliches zur Harmonik der Lieder erzählen. Nur …« Sie hebt den Finger. »Irgendwann wollte er unbedingt in den Garten. Aber nicht etwa, um die schöne Schöpfung von Mutter Erde anzuschauen, sondern um einen Zigarillo zu rauchen!« Bei »Zigarillo« sieht sie so dramatisch aus wie eine Schauspielerin in einem Stummfilm. Sie dreht den Kopf nach hinten und kneift die Augen zusammen, als halte ihr jemand einen stinkenden Tierkadaver vor die Nase. Flo schüttelt den Kopf. Rauchen ist für seine Mutter das Letzte. Ein Killer, der gut riecht, wäre für sie akzeptabler als ein Friedensnobelpreisträger, der nach Qualm stinkt. Ich hätte es merken müssen. Man sieht es an der Haut, an den Zähnen und an den Fingern. Aber bei Johann-Wolfgang war nichts faltig und nichts gelb. Seine Kleidung roch gut. Keine Ahnung, wie er das schafft.
Sophia schwingt sich ihren Seidenschal über die Schulter und macht den ersten Schritt zum Haus. Flo bleibt noch einen Moment bei uns stehen. »Wenn es eine Liste gäbe, nach der meine Mutter Männer beurteilt, stünde Nichtrauchen ganz oben«, sagt er dann, seufzt tief auf und dackelt hinter seiner Mutter her zum Gartenzaun.
DIE QUEST
»Guck mal, daumendicke Blutwurst«, sage ich und zeige den anderen mein Pausenbrot. Mein Opa hat es mir geschmiert, heute Morgen, in aller Ruhe. Er wohnt noch ein paar Tage bei uns, bevor er wieder heim nach Dagebüll fährt. Jeden Morgen steht er um sieben Uhr auf, rasiert sich in aller Ruhe im Badezimmer und schaltet dazu den Klassiksender im Radio ein. Ich liebe es, ihn dabei zu beobachten. Auch beim Brotschneiden. Bei allem. Bei meinem Opa wirkt jeder Handgriff so, als hätte er alle Zeit der Welt. Er ist froh, dass mein Vater die alte Drucktradition fortführt, die er begonnen hat. Ob mein Vater erwartet, dass ich das eines Tages auch tue? Ist das die Quest meiner Familie?
»Konzentrier dich!«, sagt Lukas und tippt auf den Notizblock in seiner Hand, auf dem die Checkliste steht, was Männer für Sophia alles können, tun und lassen müssen. »Flo, am schlimmsten ist für deine Mutter, wenn ein Mann raucht?«
Flo nickt. Er schluckt einen Bissen Knoppers herunter und sagt: »Der Mann darf allgemein nicht riechen.«
»Jeder Mann riecht.«
»Ja, schon, er darf riechen, aber nur nach ein paar bestimmten Duftrichtungen.«
»Schweiß«, sage ich und meine es als Scherz. In dem Gebüsch hinter den Holzpfählen repariert eine Kreuzspinne ihr Netz.
»Schweiß ist okay«, sagt Flo zu meiner Überraschung. »Es kommt nur darauf an, warum der Mann schwitzt. Wenn er schwitzt, weil er gerade vom Joggen kommt, findet meine
Weitere Kostenlose Bücher