Finns Welt - 02 - Finn reloaded
»Und sie lässt die erste Fassung hier setzen? Aus Aberglaube? Ich meine, es passt ja schon zu den Romanen. Die uralten Holzlettern, eine echte Presse.«
»Na ja, sie hat’s halt auch nicht weit«, verplappere ich mich scheinbar und drehe mich danach weg wie ein Fußballer, der den Ball ins Gesicht bekommen hat.
»Wie bitte???«, stößt der Redakteur-Praktikant hervor. Er kreischt es fast. Hektisch sieht er sich im Raum um, als könnte jede Frau, die hier gerade Sekt trinkt, Suzanne Myers sein. Er glaubt tatsächlich, sie lebt in unserer Nachbarschaft. Dieser Trick klappt immer. Man muss nur so tun, als hätte man aus Versehen ein Geheimnis verraten, und schon denken alle, dass es die Wahrheit sein muss.
»Sie dürfen das niemals schreiben!«, flehe ich und spiele den verzweifelten Jungen, der vom Vater Ärger bekommen wird. Das geht auch ziemlich leicht. Man knickt ein bisschen die Knie ein und macht sich sozusagen klein. Dann reißt man die Augen auf und zittert mit den Brauen.
Wenn wir alle nur Figuren in einem Spiel sind, dann ist Körpersprache unsere Steuerung. Ich finde es spannend, sie einzusetzen. Dem Praktikanten gefällt das alles, denn er glaubt, er habe nun die Macht in der Hand.
»Ich schreibe, was ich will«, sagt er. »Ich bin Journalist.«
»Ja, aber Sie haben keine Beweise. Nur die Aussagen eines Dreizehnjährigen.« Lukas kichert. Flo wird nervös. Er besitzt alle Teile von Drachental. Es sind die einzigen Romane, die er liest.
»Stellen Sie sich vor, ich hätte gelogen und Sie drucken das. Dann war’s das mit der Karriere, oder?«
Der Praktikant runzelt die Stirn und legt den Zeigefinger ans Kinn. Er grinst wie Jack Sparrow, dem gerade eine Idee gekommen ist. »Man muss nicht immer alles unter seinem echten Namen veröffentlichen.« Dann zieht er sein Handy aus der Tasche. »Twittern geht auch.«
Oh.
Das hatte ich nicht bedacht.
Der Praktikant knickt seine Daumen in Stellung, aber er sieht auf, bevor er zu tippen beginnt. Eigentlich sehen alle Männer auf, denn: Sophia betritt den Raum. Sie löst bei erwachsenen Männern dasselbe aus wie Vivien bei mir. Wahrscheinlich noch mehr. Sie selbst weiß das. 10 von 10 Punkten bei FEMININITY. Ihr Lächeln ist zart und zurückhaltend, als wolle sie nicht zu viel von sich preisgeben. Ihre Haare fallen ihr in weichen, braunen Locken auf die Schultern. Über der linken Augenbraue hat sie eine kleine Narbe. Im Film würden sie jetzt Musik einspielen und sie würde sich in Zeitlupe eine Strähne wegstreichen. Ich sage ja: Sophia ist eigentlich nicht wie eine Mutter. Hinter der Druckerpresse macht es »Klick, Klick, Klick«. Der Praktikant hat Sophia fotografiert. Sie lächelt alle Anwesenden an und nimmt ein Glas Sekt von meinem Vater entgegen. Ein Mann steht zwei Meter von ihr entfernt und blättert in einem Musterbuch. Er ist groß gewachsen und sieht gut aus. Vielleicht ist er fünf, sechs Jahre älter als sie, also um die vierzig, aber er wirkt sportlich genug, dass er in der Bundesliga Torwart sein könnte. Hoher Wert bei MASCULINITY, locker 8 von 10. Er ist fasziniert von ihr, das sehe ich sofort. Er traut sich nur nicht so recht, sie anzusprechen. Ich erinnere mich daran, dass Sophia mal gesagt hat, wie wichtig bei einem Mann gepflegte Nägel seien. Und dass er sich rasieren können müsse. Und niemals kleiner als 1,82 Meter sein dürfe. Dieser Mann hat gepflegte Nägel. Er ist mindestens 1,90 Meter und er weiß, wie man eine Klinge über die Wange zu schwingen hat.
»Sag mal schnell, was deine Mutter mag«, wende ich mich an Flo.
»Du meinst jetzt außer Birnbäumen und Heilsteinen und Buddha?«
»Was Handfestes. Fernsehsendungen. Musik.«
»Weißt du doch. Nebenbei hört sie gerne diese Entspannungsmusik mit Indianergesang. Richtig Fan ist sie aber von Depeche Mode.«
»Diese Synthesizer-Band, die sogar im Stadion spielt? Kennt sie sich gut aus?«
»Sehr gut.«
Ich überlege und reibe mir die Nase. Dann gehe ich zu dem großen Mann mit den gepflegten Nägeln. »Hallo«, sage ich. »Ich bin der Sohn von Klaus Anders.«
»Hallo«, antwortet er und zieht das »oooooo« ganz lang, als sei es sensationell, mich zu treffen. »Was dein Papa hier aufgebaut hat, ist fantastisch!« Das »fantastisch« sagt er auch ein wenig theatralisch, in drei Silben: fan-tas-tisch! Er reicht mir die Hand. »Ich bin Johann-Wolfgang.«
»Schöner Name«, sage ich, mache mir aber Sorgen. Ein Mann, der Johann-Wolfgang heißt, hört bestimmt lieber Mozart
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