Finns Welt - 02 - Finn reloaded
Moos gebildet hat.
»Was ist denn los mit dir?«, fragt Lukas. »Ist doch genau dein Ding, diese Sache mit den Charakterwerten!«
»Ja, sicher, aber …«
»Warum bist du dann jetzt so stinkig?«
»Ja, weil …« Flo hält sich an einer der Baumhausstelzen fest. Ich glaube, er versucht, nicht zu weinen. »Ihr macht euch über eure Väter lustig, ha, ha! Ihr solltet dankbar sein, ihr habt wenigstens welche! Finns Vater baut alte Regale und Druckerpressen auf. Dein Vater trinkt mit ihm Sekt, bis seine Nase rot ist. Und Finns Opa ist auch noch da, der alte Mann vom Meer. Und hier?« Flo schlägt mit der Faust gegen das Holz. »Wolfgang konnte damals mit mir nicht mal dieses Baumhaus vollenden, weil meine Mama mitten im Bau mit ihm Schluss gemacht hat!« Wolfgang war Flos Lieblingspapa gewesen. Sein echter Vater flog bei Sophia aus dem Haus, als Flo noch ein Kleinkind war. Seither hatte Sophia viele Männer. Viele Väter für Flo. Wolfgang war der beste. Wir mochten ihn ebenfalls. »Wolfgang hatte insgesamt mindestens 30 Punkte«, sagt Flo. »Aber das war wohl nicht genug!«
Ich erinnere mich noch daran, wie Sophia ihn vor die Tür gesetzt hat. Er hatte zu viel falsch gemacht. Alle Männer machen für Sophia zu viel falsch.
»Hier!«, sagt Flo und stapft rüber zum Teich. Der Rand aus Steinen und Kies gibt schwarze Folie frei. Die Fische kommen herbeigeschwommen, strecken die Mäulchen aus dem Wasser und machen runde Münder, als würden sie an etwas nuckeln. »Das Wasser steht viel zu niedrig«, sagt Flo. »Aus irgendeinem Grund sinkt es jeden Tag ab und ich muss es mit Wasser aus dem Gartenschlauch nachfüllen.« Er geht zur Schlauchbox, die fünfzehn Meter weiter an der Hauswand neben der Terrasse hängt. »Jeden Tag den doofen Schlauch ausrollen, reinhängen, auffüllen. Und dann, auf dem Rückweg, rollt er sich nicht mehr von selbst auf, weil irgendwas an der Mechanik kaputt ist.« Die Box sieht wirklich alt aus. »Außerdem ist eine Schraube in der Wand lose«, sagt Flo. »Das müsste alles neu gebohrt werden, aber die Dübel da drin sind dicker als Orkfinger!«
Lukas lächelt.
»Da braucht man einen brutalen Monsterschlagbohrer. Ich bin dreizehn Jahre alt. Ja, gut, ich habe viel größere Waffen bei World of Warcraft im Einsatz, aber in echt habe ich nicht die Kraft, solche Maschinen zu bedienen. Da habe ich 2 von 10 bei MASCULINITY.« Flo lässt es raus. Das ist gut. Da hat sich wohl einiges angestaut.
»Sag doch was, dann macht es mein Vater«, sagt Lukas. »Ein Dachdecker kann auch Wandlöcher bohren. Oder er schickt Marek und Daniel.«
»Ach?«, sagt Flo. »Bringen die dann auch gleich eine Tischkreissäge für Steine mit und füllen endlich mal die Lücken in unserer Terrasse?« Flo zeigt uns das unsaubere Muster und tippt mit der Fußspitze lose rote Steine an. Ich wusste nicht, dass er das hier alles allein regeln soll. Erwartet Sophia das etwa von ihm?
Flo zeigt wieder zu den Kiefern. »Und Marek und Daniel – bauen die mir auch endlich das Baumhaus zu Ende?« Jetzt taucht wirklich ein feuchtes Glänzen in seinen Augen auf. Er macht kurz ein Geräusch wie »Brrrm« und wischt es weg, als wäre es nur eine Fliege gewesen.
»Wir sind doch eh bald zu alt für Baumhäuser«, sagt Lukas.
»Eben!«, erwidert Flo und seine Stimme überschlägt sich. »Ich will es aber noch gehabt haben, bevor ich zu alt dafür bin!«
Lukas weiß darauf keine Antwort. Er sucht nach einem Ball, um nicht verlegen in der Gegend herumstehen zu müssen, aber Bälle und eine Torwand gibt es nur drüben bei ihm.
»Meine Mutter erntet jeden Sommer den Birnbaum«, sagt Flo. »Da müsstet ihr sie mal sehen, mit ihrem Weidenkorb. Sie hebt sogar jeden Zweig auf, der abgebrochen und ins Gras gefallen ist. Sie schwebt über die Obstwiese, als umgebe sie ein Nebel, wie, wie …«
»Wie eine Elfe bei Herr der Ringe« ,sage ich.
Flo schüttelt sich.
Lukas sagt: »Finn! Man nennt die Mutter eines anderen doch nicht Elfe!«
Ich zucke mit den Schultern, denn ich finde, dass es passt. Sophia Hertl ist nicht wie andere Mütter. Keine kompakte Frau mit praktischer Kurzhaarfrisur, die ständig gehetzt aus der Wäsche guckt. Flos Mutter ist dünn wie ein Zweig im Wind und oft etwas entrückt. Wenn sie über die Natur redet, sagt sie »Mutter Erde«. Sie schläft jeden Tag bis elf Uhr, außer samstags, wenn sie mit dem Rad in die Stadt zum Markt fährt. Sie trägt teure Sachen und hält im Haus alles in Ordnung. Wobei Ordnung das
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