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Finster

Titel: Finster Kostenlos Bücher Online Lesen
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rein.
    Ohne besonderen Grund kam mir der Gedanke, dass der alte Mann hilflos auf der Schaukel festsitzen könnte. Vielleicht war er durch einen Schlaganfall gelähmt, und seine Familie hatte ihn nach dem Abendessen nach draußen gesetzt, damit er den Herbstabend genießen konnte.

    Dann hatten sie ihn dort vergessen und waren ins Bett gegangen.
    Er hatte sich nicht bewegt und nicht mit mir gesprochen, weil er es nicht konnte . Er konnte nur noch seine Hände bewegen. Das Streichholz war sein Notsignal.
    Aber warum hatte er dann so gegackert?
    Weil er ein Irrer ist. Diese verfluchte Stadt ist voller Irrer!
    Es liegt nicht an der Stadt, sagte ich mir. Es liegt an der Uhrzeit. Zu dieser Stunde wimmelt es wahrscheinlich überall von Verrückten. Alle geistig Gesunden sind entweder bei der Nachtschicht oder im Bett. Die Irren regieren die Stadt.
    Aber was ist, wenn der Alte wirklich gelähmt ist?, fragte ich mich. Vielleicht wollte er mich um Hilfe bitten, hat aber nicht mehr als dieses Kichern zustande gebracht.
    Sollte ich zurückgehen und nach ihm sehen?
    »Scheiße«, murmelte ich.
    Das wollte ich auf keinen Fall. Aber ich hatte das Gefühl, ich sollte es tun.
    Nein!
    Wenn er in der Lage war, ein Streichholz anzuzünden und nach mir zu werfen, hätte er mich auch schon auf seine Anwesenheit aufmerksam machen können, als ich ankam. Er lag nicht hilflos auf der Schaukel; er war nur ein verrückter, bösartiger alter Sack.
    Ich ging nicht zurück.
    Am Ende des nächsten Häuserblocks hörte ich ein Motorengeräusch. Ich sah mich um. An der Kreuzung hinter mir durchschnitten Scheinwerfer die Dunkelheit. Ich wartete nicht ab, ob sie zu Randys Pick-up gehörten oder ob
das Fahrzeug in meine Richtung abbog … ich duckte mich und hechtete hinter eine Reihe von Büschen.
    Auf der anderen Seite der Sträucher fand ich mich am Rand eines Rasens wieder. Vor mir befand sich die Rückseite eines zweigeschossigen Hauses, dessen Fenster alle dunkel waren.
    Ich kauerte reglos am Boden und lauschte.
    Das Motorengeräusch war verschwunden oder hatte sich zumindest so weit entfernt, dass es mit dem allgemeinen Summen und Rauschen der Nacht verschmolzen war.
    Oder der Fahrer hatte angehalten und den Motor ausgeschaltet.
    Vielleicht ganz in der Nähe.
    Weil er mich gesehen hatte.
    In dem Garten vor mir konnte ich einen Picknicktisch, Liegestühle und einen Grill erahnen. Leute sah ich dort nicht, also schlich ich geduckt über den Rasen zur Ecke des Hauses … und behielt dabei die Stühle im Auge.
    Es schien niemand darauf zu sitzen. Trotzdem machte mich der Anblick nervös.
    Als ich die Mauer aus Leichtbausteinen, die den Garten an den Seiten begrenzte, erreicht hatte, blickte ich zurück.
    Ich sah niemanden.
    Da mich niemand verfolgte, gab es keinen Grund, über die fast zwei Meter hohe Mauer zu klettern. Ich ging daran entlang durch den dunklen Schatten zwischen Mauer und Haus. Vor mir, jenseits des Gartens auf der Vorderseite des Hauses, befand sich eine Straße.
    Welche Straße?, fragte ich mich.
    Ich hatte keine Ahnung.

    Habe ich mich verlaufen?
    Der Gedanke beunruhigte mich auf eine Art, die sich von den anderen Ängsten dieser Nacht unterschied. Bei Randy hatte ich Angst gehabt, dass er mich verletzte. Der alte Mann war einfach nur unheimlich gewesen. Doch diese Angst hatte etwas Unwirkliches an sich.
    Was, wenn ich mich wirklich verlaufen habe und nicht mehr nach Hause zurückfinde?
    »Das wird nicht passieren«, flüsterte ich, um mich durch den Klang meiner Stimme zu beruhigen.
    Sobald ich an der ersten Straßenecke bin und die Schilder sehe …
    Auf dem Bürgersteig, vielleicht zehn Meter vor mir, schlenderte das geheimnisvolle Mädchen vorbei. Den Blick nach vorn gerichtet, eine Hand in der hinteren Tasche ihrer Jeans, die andere Hand locker an der Seite schwingend, mit wiegenden Hüften und auf und ab wippendem Pferdeschwanz.
    Sie sah aus, als gehörte die Nacht ihr allein.
    Ich bewegte mich nicht, stand einfach nur verblüfft da und beobachtete sie.
    Als sie aus meinem Blickfeld verschwunden war, zweifelte ich an meinen Sinnen. Natürlich war dort jemand vorbeigegangen. Aber war sie es gewesen? Es erschien mir zu seltsam und wunderbar.
    Ich eilte zum Bürgersteig und blickte nach rechts.
    Da war sie! Schon fast an der nächsten Ecke.
    Als sie die Straße überquerte, folgte ich ihr.
    Kein Gedanke mehr daran, nach Hause zu gehen. Ich hatte sie gefunden! Ich sah sie direkt vor mir. Wenn ich
gerannt wäre, hätte ich sie in

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