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Finstere Gründe

Finstere Gründe

Titel: Finstere Gründe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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den siebzehnten Namen auf der Liste, denn er würde wahrscheinlich nie den Namen vergessen, den das Präsidium in Kidlington ihm nannte, als er von Lyme Regis aus die Zulassungsstelle für Fahrzeuge angerufen hatte: H35 LWL:
    Dr. Alan Hardinge.
    Er nahm die Bilder von den Modellen in die Hand und sah sich noch einmal ihre Namen und ihre Körpermaße und ihre besonderen Fertigkeiten an. Im besonderen sah er sich noch einmal eines der reiferen Modelle an, das Modell, das sich nannte, das Modell, mit dem er soviel Spaß über ihren Namen gehabt hatte im Bay Hotel in Lyme Regis, die Frau, die hier abgebildet war, völlig nackt und unsagbar begehrenswert.
    Claire Osborne.

    «Schade, daß wir keine Adresse haben für... nun, es muß wohl eine Art Modell-Agentur sein, oder?»
    «Kein Problem, Lewis. Wir können einfach einen von diesen Typen auf der Liste anrufen.»
    «Vielleicht wissen sie es auch nicht.»
    «Ich besorge Ihnen die Adresse in zehn Minuten, wenn Sie sie wirklich haben wollen.»
    «Ich will sie nicht für mich selbst, wissen Sie.»
    «Natürlich nicht!»
    Morse entschied, daß seine Anwesenheit in der Seckham Villa nicht länger erforderlich war, nahm seine Papiere an sich, wies Lewis an, noch ein oder zwei Stunden zu bleiben, und kehrte zum Präsidium zurück, wo er ihre Telefonnummer wählte.
    Sie war zu Hause.
    «Claire?»
    «Morse!» (Sie hatte seine Stimme erkannt!)
    «Sie hätten mir sagen können, daß Sie in einer Modell-Agentur arbeiten!»
    «Warum?»
    Morse fiel keine Antwort ein.
    «Sie hielten mich für verdorben, aber nicht für so verdorben?»
    «Vermutlich.»
    «Warum setzen Sie sich nicht in ihr Auto und kommen heute abend rüber? Ich würde mich freuen.»
    Morse seufzte. «Sie sagten, Sie hätten eine Tochter...»
    «Und?»
    «Stehen Sie noch in Verbindung mit dem Vater?»
    «Mit dem Vater? Großer Gott, vergessen Sie es. Ich könnte Ihnen nicht sagen, wer der Vater ist!»
    Wie der Vorhang im Tempel zerriß Morses Herz plötzlich in zwei Stücke, und nachdem er sie noch nach Namen und Adresse der Modell-Agentur gefragt hatte (sie lehnte es ab, ihm die zu nennen), legte er auf.
    Zehn Minuten später läutete das Telefon auf Morses Schreibtisch, und Claire war am Apparat — wenn er auch nicht wußte, wie sie an seine Nummer gekommen war. Sie sprach nur etwa dreißig Sekunden und ignorierte Morses Unterbrechungen.
    «Halt die Klappe, du Scheißkerl! Ist dir nicht klar, daß ich all den lüsternen Typen, die ich jemals hatte, deinetwegen den Laufpaß gegeben habe — und anstatt zu versuchen zu verstehen, fragst du mich nur — lieber Gott! — wer der Vater...»
    «Hör zu, Claire...»
    «Nein! Du hörst verdammt noch mal zu. Wenn du nicht akzeptieren kannst, was dir eine Frau über sich selbst erzählt, und in der Vergangenheit herumstochern mußt und verdammt überflüssige Fragen stellen, warum, und wer er war, und...» Aber die Stimme versagte ihr jetzt völlig.
    «Hör mir bitte zu!»
    «Nein! Zieh einfach Leine, Morse, Scheißkerl, und ruf mich nicht noch mal an, weil ich wahrscheinlich gerade mit jemandem vögel und nicht gestört werden will...»
    «Claire!»
    Aber sie hatte aufgelegt.
    Während der nächsten Stunde wählte Morse ihre Nummer alle fünf Minuten und ließ es jedesmal dreißigmal summen. Aber niemand nahm auf.

    Lewis hatte nichts Neues in der Seckham Villa gefunden, und um 18 Uhr rief er im Präsidium an, wie Morse es gewünscht hatte.
    «In Ordnung. Gehen Sie heute früh nach Hause, Lewis. Und sehen Sie zu, daß Sie genug Schlaf kriegen. Und viel Glück für morgen!»
    Lewis sollte am nächsten Tag den 7.30-Uhr-Flug nach Stockholm nehmen.

Kapitel siebenunddreißig

    Lebend begraben zu werden ist fraglos der schrecklichste aller Schrecken, die je zum Los bloßer Sterblicher wurden

    (Edgar Allan Poe,
    Tales of Mystery and Imagination)

    Der Tod von Max umhüllte Morse noch immer wie ein Mantel aus Trübsinn, alser am nächsten Morgen in seinem Büro saß. Während der vergangenen Nacht hatte er sich in Gedanken viel mit dem Tod beschäftigt, und diese Stimmung hielt noch an. Als Junge hatten ihn die Worte des sterbenden Sokrates bewegt, die besagten, wenn der Tod nur ein einziger langer, ungebrochener, traumloser Schlaf sei, könne der Menschheit kaum ein größerer Segen gewährt werden. Aber was war mit dem Körper? Die Seele war vielleicht fähig, für sich selbst zu sorgen, aber was war mit dem sinnlich wahrnehmbaren Körper? In Morses Lieblingsgeschichte

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