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Finstere Gründe

Finstere Gründe

Titel: Finstere Gründe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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erkennen, daß die helfende Hand, die sie brauchen, sich am Ende ihres eigenen rechten Arms befindet

    (Sidney ). Phillips, Rede im Juli 1953)

    Auf der zwanzig Kilometer langen Busfahrt vom Arlanda-Flughafen nach Süden in Richtung Stockholm genoß Lewis den für ihn ziemlich seltenen Anblick eines anderen Landes. Nach einer Weile gingen die ausgedehnten Kiefern- und Tannenwälder in kleinere Gehölze und offene Felder über, dann kamen Bauernhöfe, rot, mit Scheunen, die ebenfalls rot waren, und einige wenige gelbe Herrenhäuser aus Holz, kurz vor dem Stadtrand von Stockholm mit seinen Fabriken und ordentlichen, noch neuen Gebäuden — und alles so außerordentlich sauber und ohne jeden Abfall. In kleinen Waldgebieten in der Stadt selbst standen drei- und vierstöckige Wohnblöcke, und schließlich kam das Ende der Fahrt, der Zentrale Omnibusbahnhof.
    Lewis hatte auf der Schule nie Sprachen gelernt, und seine Reisen ins Ausland hatten sich bisher beschränkt auf drei Wochen in Australien, zwei Wochen in Italien und einen Nachmittag auf einem Supermarkt in Calais. Daß er keine Schwierigkeiten hatte, ein Taxi herbeizurufen, lag allein an dem hervorragenden Englisch des jungen Fahrers, der Lewis bald in den Vorort Bromma und dann zu einem achtstöckigen weißen Wohnblock in Bergsvägen brachte.
    Das CID von Stockholm hatte angeboten, einen Mann zu schicken, der ihn abholte, aber Lewis hatte keinen Gebrauch von dem Angebot gemacht, als er am Tag zuvor die Einzelheiten seines Besuchs plante. Es war selten, daß er unabhängig entscheiden konnte, und hier war seine Chance.
    Die Eingangshalle war in poliertem rosa Granit, und ein Schild mit den Namen der Mieter hing an einer Wand:

    ANDREASSON 8A
    ENGSTRÖM 8B
    FASTEN 7A
    OLSSON 7B
    KRAFT 6A
    ERIKSSON 6B

    Sechster Stock!
    Lewis war aufgeregt, als er den Namen sah; es war fast, als ob... als ob er im Begriff sei, eine bedeutsame Entdeckung zu machen.
    Die Tür mit dem Namensschild ERIKSSON wurde von einer Frau Mitte vierzig geöffnet, mittelgroß, mollig, mit hellbraunen Augen und kurzem, bräunlichblondem Haar.
    «Mrs. Eriksson?»
    «Irma Eriksson», sagte sie, gab ihm die Hand und bat ihn in die Wohnung.
    An den Wänden der kleinen Diele standen Schränke, an einer hing ein großer Spiegel, an einer anderen ein Wandteppich, der selbstgewebt aussah. Durch die offene Tür an seiner rechten Seite sah Lewis eine wunderschön eingerichtete Küche, frisch und glänzend vor Sauberkeit, mit einem Kupferkessel auf dem Herd und alten Tellern an den Wänden.
    «Hier hinein, Mr. Lewis.» Sie zeigte lächelnd nach links und ging ihm voran.
    Ihr Englisch war sehr gut, fließend und korrekt, mit nur einer Spur von ausländischem Akzent, wahrnehmbar vielleicht allein in der Dehnung des kurzen ().
    Die ganze Wohnung war so sauber, und der Parkettboden im besonderen war so peinlich sauber, daß Lewis sich fragte, ob er anbieten sollte, seine Schuhe auszuziehen, denn sie selbst stand in Strümpfen da: Mit einer freundlichen Geste bot sie ihm einen Platz auf einem braungestreiften Sofa an.
    Als Lewis später versuchte, Morse die Einrichtung zu beschreiben, war ihm mehr als alles andere die große Menge von Dingen bewußt, die in dieses Wohnzimmer gepackt worden waren: zwei Couchtische aus massivem, dunklem Holz, eine große Anzahl von Zimmerpflanzen, Gruppenbilder und Fotos überall, Dutzende von Kerzenhaltern, ein großes Fernsehgerät, hübsche Kissen, wo man nur hinschaute, Vasen mit Blumen, eine Gruppe Dala-Pferde, zwei Cruzifixe und, wie Lewis später erfuhr, ein Satz Carl Larsson-Drucke über dem Backstein-Kamin. Doch trotz all der Fülle war das ganze Zimmer hell und luftig: die dünnen Gardinen waren von dem nach Süden gehenden Fenster zurückgezogen.
    Die Unterhaltung war mühelos und, für Lewis, interessant. Er erfuhr etwas vom Wohnen der Mittelklasse in schwedischen Städten, hörte, wie und warum die Erikssons von Uppsala nach Bergsvägen gezogen waren, fast ein Jahr, nachdem... nachdem Karin zugestoßen war, was ihr zugestoßen war. Während Lewis kurz die Aussage durchging, die sie vor einem Jahr gemacht hatte, beobachtete Irma Eriksson ihn wachsam (wie er sehen konnte), nickte hier und da und schaute ein- oder zweimal traurig hinunter auf einen kleinen Orientteppich vor ihren Füßen. Aber ja, es war alles da, und nein, sie konnte nichts hinzufügen. Von jenem Tag bis zu diesem hatte sie keine weiteren Nachrichten von ihrer Tochter erhalten — keine