Finsteres Verlangen
zitternd. Nein, das trifft es nicht ganz. Ich hatte ein feines Zittern in den Händen, und überall an mir zuckten kleine Muskeln in den unpassendsten Momenten. Ich fror, obwohl wir einen dieser prächtigen, sonnig warmen Herbsttage hatten, wo ein helles, aber weiches Licht herrscht. Wir fuhren unter blauem Himmel durch die Sonne, und mir war kalt, so kalt, dass keine noch so dicke Decke daran etwas hätte ändern können.
Nathaniel kniete zwischen meinen Beinen und hielt meine Taille umschlungen. Ich hatte zwar gemeckert, das sei während der Fahrt zu gefährlich, konnte mich aber nicht durchsetzen. Ich hatte keine Decke im Auto. In letzter Zeit war ich jedoch so oft im Schockzustand gewesen, dass ich das besser ändern sollte. Den Wald entlang der 44 hatten wir hinter uns gelassen und fuhren jetzt an Häusern vorbei, an einer ehemaligen Schule, die in ein Wohnhaus umgebaut wurde, an Kirchen und anderen Gebäuden, die alt und müde aussahen. Okay, Letzteres war Projektion.
Ich strich Nathaniel ab und zu über den Kopf, über die warmen, seidigen Haare. Sein Kopf lag in meinem Schoß, seine Arme um meine Taille. Es kam vor, dass er mich auf sexuelle Gedanken brachte, aber jetzt zumindest empfand ich nur Trost. Tröstliche Nähe. Die findet man bei den meisten Leuten nicht, weil alle ständig an Sex denken. Wahrscheinlich haben deshalb so viele Leute einen Hund. Einen Hund kann man knuddeln so viel man will, ohne dass er an Sex denkt oder aufdringlich wird. Außer natürlich man isst gerade, dann wird er aufdringlich, wenn man ihm das Betteln bei Tisch nicht abgewöhnt hat. Aber schließlich ist er ein Hund und kein Mensch im Hundekostüm. Ich brauchte jedenfalls im Augenblick ein Schoßtier, keine Person. Nathaniel konnte beides. Eine unbequeme, aber wahre Tatsache.
Jason fuhr. Caleb hatte die Rückbank für sich allein. Keiner sprach. Wahrscheinlich wussten sie alle nicht, was sie sagen sollten. Ich wollte, dass Jean-Claude aufwachte. Ich wollte ihm erzählen, was Belle getan hatte, und er sollte mir versichern, es gebe ein Mittel, um sie von Weiterem abzuhalten, damit sie mir das vierte Zeichen nicht geben konnte. Durch das vierte Zeichen würde ich nicht mehr altern und leben, solange Jean-Claude nicht starb. Theoretisch konnte er ewig leben und ich daher auch. Warum hatte ich mich bisher dagegen gesträubt? Weil es mir Angst machte. Da ich Christin war, wusste ich nicht so recht, was ich davon halten sollte, vielleicht ewig am Leben zu bleiben. Ich meine, was ist dann mit dem Himmel und Gott und dem Jüngsten Gericht? Was bedeutete das theologisch gesehen? Und in weltlicher Hinsicht: Wie viel enger würde mich das an Jean-Claude binden? Er konnte bereits in meine Träume eindringen. Was würde folgen, wenn ich den letzten Schritt auch noch ging? Oder verweigerte ich es nur, weil ich mich niemandem so ganz geben wollte? Vielleicht. Aber wenn ich mir Belle nur dadurch vom Leib halten konnte, dass ich mir von Jean-Claude das vierte Zeichen geben ließ, dann stand meine Entscheidung schon fest. Ich überlegte, ob ich meinen Priester anrufen sollte und ob er noch vor dem Abend Zeit haben würde, um mit mir die theologischen Folgen zu besprechen. Pater Mike hatte mir im Laufe der Jahre schon viele sonderbare Fragen beantwortet.
»Anita«, sagte Jason leicht beunruhigt.
Ich drehte den Kopf und merkte, dass er mich schon ein paar Mal angesprochen haben musste. »Entschuldige, ich war in Gedanken.«
»Ich glaube, da folgt uns jemand.«
Ich zog die Brauen hoch. »Was meinst du?«
»Vorhin, als es fast gekracht hätte, ist mir im Rückspiegel ein Wagen aufgefallen, der ständig gedrängelt hat. Er wäre fast seinem Vordermann draufgefahren, als ich so scharf gebremst habe.«
»Es ist viel Verkehr, da drängeln viele Leute.«
»Ja, aber als wir gehalten haben, sind die anderen möglichst schnell an uns vorbei. Nur dieser Wagen ist noch hinter uns.«
Ich blickte in den Rückspiegel und entdeckte einen dunkelblauen Jeep. »Bist du sicher, dass es derselbe ist?«
»Ich hab mir nicht die Nummer gemerkt, aber es ist dasselbe Modell, dieselbe Farbe und es sitzen dieselben zwei Kerle drin, ein dunkelhaariger, ein blonder mit Brille.«
Ich sah genauer hin. Zwei Männer, ein dunkelhaariger, ein blonder. Konnte Zufall sein. Vielleicht war’s aber auch keiner.
»Dann machen wir mal einen Test«, sagte ich.
»Was? Soll ich sie abhängen?«, fragte Jason.
»Nein. Fahr rechts rüber und nimm die nächste Ausfahrt, die
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