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Finsteres Verlangen

Finsteres Verlangen

Titel: Finsteres Verlangen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laurell K. Hamilton
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sie war kein Berg. Sie war mehr wie ein Ozean, sofern ein Ozean höher als der höchste Berg aufsteigen und dann so stehen bleiben, abwarten, sich der Schwerkraft und allen Gesetzen der Physik widersetzen kann. Wie bei einem Ozean wusste ich, dass ich nur vom Ufer aus blickte und allerhöchstens raten konnte, wie tief und weit diese Dunkelheit reichte.
    Schwammen fremdartige Wesen darin? Gab es dort Wesen, die nur in Träumen oder Albträumen offenbart wurden? Ich betrachtete die schillernde, flüssige Dunkelheit und fühlte die Dumpfheit der Verzweiflung weichen. Vielleicht war die Verzweiflung ein Schild gewesen, der mich schützen, mich betäuben sollte, damit mein Verstand nicht zerbrach. Ein paar Augenblicke lang konnte ich denken: Was ist das? Wie kann ich es begreifen? Das Staunen begann sich zurückzuziehen, als ob die Schwärze es wegsaugte, sich daran nährte. Und schließlich stand ich vor ihr, vor ihr … zitternd, bebend, frierend, und fühlte die Dunkelheit an mir saugen. Sie saugte an meiner Wärme. In dem Moment wusste ich, was ich vor mir hatte. Es war ein Vampir. Vielleicht der allererste Vampir, einer, der so alt war, dass der Gedanke, menschliche Körper oder Fleisch könnten diese Dunkelheit nähren, lachhaft war. Sie war das Wesen der Urfinsternis. Sie war der Grund, warum Menschen die Dunkelheit fürchteten, die Dunkelheit selbst, nicht was sich darin verbarg. Es gab Zeiten, wo sie unter uns wandelte, sich an uns nährte, und wenn es dunkel wird, erinnern wir uns irgendwo im Hinterkopf an die hungrige Finsternis.
    Die schimmernde Schwärze griff nach mir, und ich wusste, ich würde sterben, wenn sie mich berührte. Ich konnte mich nicht abwenden, nicht weglaufen, denn vor der Dunkelheit kann man nicht weglaufen. Das Licht ist nicht von Dauer. Dieser letzte Gedanke war nicht meiner. Auch nicht Belles.
    Ich starrte in die Dunkelheit hinauf, als sie sich über mich beugte, und wusste, sie log. Es ist die Dunkelheit, die nicht von Dauer ist. Der Morgen kommt und vernichtet sie, nicht umgekehrt. Hätte ich genügend Luft holen können, hätte ich geschrien, aber es reichte nur zum Flüstern. Die Dunkelheit beugte sich herab, und ich konnte weder schießen noch schlagen und hatte auch nicht genug übersinnliche Macht, um sie von mir fernzuhalten. Darum tat ich das Einzige, was mir noch einfiel: Ich betete.
    »Gegrüßet seist du, Maria, voll der Gnade, der Herr ist mit dir …« Die Dunkelheit hielt inne. »Du bist gebenedeit unter den Frauen, und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes.« Ein schwaches Zittern durchlief die flüssige Dunkelheit. »Heilige Maria, Mutter Gottes, bitte für uns …« Plötzlich drang Licht in die Schwärze. In der Traumumgebung trug ich mein Kreuz um den Hals. Es leuchtete weiß wie ein gefallener Stern, und ganz anders als im wirklichen Leben konnte ich hinter das grelle Licht blicken. Ich konnte sehen, wie das reine weiße Licht die Dunkelheit zurücktrieb.
    Der Beifahrersitz trat wieder in mein Bewusstsein, ebenso der Sicherheitsgurt über meiner Brust und Nathaniel, der die Arme um meine Taille gelegt hatte. Das Kreuz an meiner Brust strahlte grellweiß selbst im Sonnenschein, sodass ich wegsehen musste und trotzdem geblendet wurde. Es würde nicht so leuchten, wenn die Gefahr schon vorbei wäre. Ich wartete, ob die Urfinsternis etwas tat.
    Die Luft im Jeep war plötzlich weich und lieblich wie in einer schönen Sommernacht, wenn man jedes Blatt, jeden Grashalm, jede Blume riechen kann wie eine duftende Decke, die einen schwereloser einhüllt als Kaschmir, leichter als Seide.
    Meine Kehle fühlte sich auf einmal kühl an, als hätte ich einen Schluck kaltes Wasser getrunken. Ich spürte, wie es meine Kehle überzog, und es hatte einen ganz schwachen Beigeschmack, wie von Jasmin.
    Nathaniel drückte das Gesicht in meinen Schoß, um seine Augen vor der Helligkeit zu schützen. Ich hatte praktisch eine weiß glühende Sonne um den Hals hängen.
    »Scheiße«, sagte Jason, »ich kann kaum die Straße erkennen. Kannst du das abdunkeln?«
    Die Welt war voller weißer Halos. Ich wagte nicht den Kopf zu drehen, um ihn anzusehen. Dieser Sommernachtsduft war alles, was ich riechen konnte, so als wäre alles andere verschwunden. Fast war mir, als würde ich noch einmal einen Schluck kaltes, duftendes Wasser trinken, das meine Kehle benetzte. Es kam mir so wirklich, so überwältigend wirklich vor. Ich brachte nur ein leises Nein heraus.
    Ich wartete auf Worte in meinem Kopf,

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