Finsteres Verlangen
und lud selbst von weitem zum Küssen ein. Er hätte mädchenhaft wirken können, wenn die Lederriemen nicht einen sehr männlichen Körper gezeigt hätten.
Merle trug, was alle Leibwächter bevorzugten: schwarzes Leder. Schwarze Lederhosen über schwarzen Stiefeln mit silbernen Spitzen, ein schwarzes T-Shirt unter einer schwarzen Lederweste. Er war über eins achtzig groß, hatte hellgrau durchzogenes schulterlanges Haar und einen dunkelgrauen Bart. Man sah ihm an, was er war – ein langjähriger Biker und ein keineswegs umgänglicher Typ.
»Was ist passiert?«, fragte ich.
Merle brummte: »Wenn dieser Scheißer meinen Nimir-Raj noch ein Mal anfasst, reiße ich ihm den Arm aus und schieb ihn ihm in den Arsch.«
Jean-Claude und Asher unisono: »Paolo.«
»Ja«, knurrte Merle.
Micah wirkte amüsiert. Er war offenbar nicht verärgert, aber es gab ohnehin nicht viel, was ihn ärgerte. Er war einer der gelassensten Leute, die ich kannte. Als mein Freund musste er das wohl sein.
»Es ärgert mich nicht, Merle.«
»Das ist nicht der Punkt«, erwiderte der große Mann. »Es ist beleidigend. Es zeigt, dass er keinen Respekt vor uns hat.«
»So ist Paolo«, sagte Asher. »Er hat vor niemandem Respekt, außer vor Belle.«
»Lasst mich raten«, sagte ich. »Hat er auch Nathaniel begrapscht?«
Merle knurrte, dass ich eine Gänsehaut bekam.
Der Vorhang ging auf und Bobby Lee streckte den Kopf herein. »Sofern wir jetzt nicht anfangen wollen, Leute zu zerfleischen, wäre es besser, ihr kommt wieder herein.« Wir wechselten einen Blick, seufzten einmütig und kehrten in das Vorzimmer zurück.
45
V or uns stand eine Wand aus schwarz gekleideten Leibwächtern – Werratten, Werhyänen, Werleoparden –, sodass wir nicht sehen konnten, woher der hohe Ton kam.
»Macht Platz«, sagte ich und wurde ignoriert.
»Macht Platz, Leute«, brüllte Merle, und die Leibwächter gaben eine Gasse frei.
Es war Stephen, der das Kreischen von sich gab. Er drückte sich rückwärts an die Wand, als wollte er hindurch und an der anderen Seite hinaus. Vor ihm stand Valentina. Sie tat nichts, was ich hätte sehen oder spüren können, stand nur sehr nah und hielt ihre kleine Hand nach ihm ausgestreckt.
Gregory stand an die andere Wand gedrückt, vor ihm Bartolomé mit verzücktem Gesicht. Ich konzentrierte meine Sinne auf den Vampir und fühlte, wie er seinen Hunger an Gregorys Angst stillte. Mir waren schon ein, zwei Vampire begegnet, die andere in Angst versetzen und sich daran nähren konnten. Ich hatte nicht gewusst, dass es diese Fähigkeit auch in Belles Linie gab.
Stephen kreischte laut auf, sodass ich zu Valentina herumfuhr. Sie legte gerade die Hand an seinen nackten Bauch. Sie nährte sich jedoch nicht an seiner Angst, und ich sah auch nicht, dass sie ihn sonst irgendwie verletzte. Aber Stephen hatte seine langen blonden Locken über das geschminkte Gesicht fallen lassen, um sich dahinter zu verstecken. Sein nackter Oberkörper presste sich an die Mauersteine, als könnte er darin verschwinden.
Valentina schob die Hand zu seiner Taille hinab, zum Bund seiner weißen Lederhose, und Stephen schrie erneut. In dem Moment ahnte ich, warum die Zwillingsbrüder vor den Kindern solche Angst hatten.
Bobby Lee drängte sich neben mich. »Die Leibwächter sollten vorangehen, Anita, nicht du.«
Ich ignorierte seinen Ärger; ich wusste, er war einfach frustriert. Wir hatten den Leibwächtern eingeschärft, dass sie erst Gewalt anwenden durften, wenn Musette und ihre Leute den Burgfrieden brachen, unter keinen Umständen vorher. Meiner Ansicht nach hatten sie ihn gebrochen.
Ich wollte zu Stephen eilen, aber ein mir unbekannter Vampir verstellte mir den Weg. Plötzlich wusste ich, warum unsere Leibwächter nichts unternahmen, sondern nur dastanden. Der Vampir war gar nicht so furchtbar groß, aber massig, und nicht nur durch Muskeln. Er hatte eine sonderbare Schulterhaltung, und die Kopfform war irgendwie seltsam. Da war nichts Konkretes, woran ich es hätte festmachen können, nur das deutliche Empfinden, dass er kein Mensch war. Und anders als andere Vampire.
Er war außerdem einer der wenigen schwarzen Vampire. Es gab die Theorie, wonach Menschen afrikanischer Abstammung das Vlad-Syndrom nicht so leicht bekommen konnten, wie auch viele von ihnen immun gegen Malaria waren. Er stand vor mir und blickte mich an. Seine dunkle Haut war seltsam ausgebleicht, seine Augen goldgelb, und sowie ich seinem Blick begegnete, schossen mir dir
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