Finsteres Verlangen
flüsternd.
Sie kam näher und streckte die Hand nach meinem Hals aus. Ich wich zurück, aber nicht vor der Berührung, sondern vor unserer Angst. Diesmal lachte sie nicht. »Nur du und ich sind von dieser Finsternis berührt worden.«
»Belle Morte auch«, sagte ich.
Valentina blickte mich fragend an.
»Belle hat mich in einen Traum hineingezogen, in dem die Finsternis um uns herum aufstieg.«
»Unsere Herrin hat uns nichts davon erzählt«, sagte Valentina.
»Es ist erst heute passiert, während des Tages«, sagte ich.
Mit nachdenklichem Gesicht klappte Valentina ihren Fächer zusammen und ließ ihn durch ihre kleinen Hände gleiten. Ihre Fingernägel waren golden lackiert. »Musette sollte davon erfahren.« Sie blickte zu mir auf, und in ihren Augen war mehr, als da sein sollte. Sie hatte das Gesicht einer Achtjährigen, aber das Bewusstsein einer Erwachsenen.
»Gleich werden einige unerwartete Gäste erscheinen. Ich darf die Überraschung nicht verderben, denn das würde Musette verärgern und durch sie auch Belle, aber ich bin überzeugt, dass sie uns beiden, dir und mir, nicht behagen werden. Und wir werden mehr als jeder andere begreifen, welches Desaster ihr Hiersein bedeutet.«
»Ich verstehe nicht.«
»Jean-Claude wird es dir erklären, wenn sie da sind, aber nur du und ich werden wirklich verstehen, warum ihre Anwesenheit hier von Übel ist.«
Ich runzelte die Stirn. »Tut mir leid, aber ich komme nicht mehr mit.«
Sie seufzte und entfaltete geübt ihren Fächer. »Wir sprechen uns wieder nach der Überraschung.« Sie wandte sich ab und ging auf die Vorhänge zu.
»Was hat dich vor der Finsternis gerettet?«, rief ich hinter ihr her.
Sie drehte sich um und faltete den Fächer zusammen. Das Spiel damit war ihr zur Gewohnheit geworden. »Was hat dich gerettet?«
»Ein Kreuz und Freunde.«
Sie lächelte, aber nur mit den Lippen. Ihre Augen wirkten finster. »Mein Kindermädchen.«
»Hat sie gesehen, wer in dem Bett lag?«
»Nein, aber umgekehrt. Darauf fing sie an zu kreischen, stand kreischend da und starrte ins Leere, bis sie tot umfiel. So blieb sie für lange Zeit liegen, weil keiner den Raum betreten wollte.«
Mit einem Ruck öffnete sie den Fächer. Diesmal erschrak ich nicht. »Der Gestank war grauenhaft.« Damit wollte sie es in Scherzhafte ziehen, bekam aber nicht das passende Gesicht dazu hin. Ihr Blick wirkte verstört, trotz des schwarzen Humors. Dann verschwand sie durch die Vorhänge.
Wir entspannten uns sichtlich, als sich die Vorhanglücke geschlossen hatte, und wechselten einen Blick. »Wieso habe ich das Gefühl, dass ich nicht die Einzige bin, die zu angespannt ist, um das heute Abend durchzuziehen?«, sagte ich.
Asher ließ Jean-Claudes Hand nicht los, als er sich mit einem Schritt vor uns stellte. »Musette glaubt uns nicht und wird es nicht dabei bewenden lassen.«
»Valentina und ich haben gerade über die Mutter aller bösen Vampire gesprochen, und du redest sofort wieder über Musette.«
Jean-Claude drückte seufzend meine Hand.
»Es ist nicht die liebe Dunkelheit, die mich heute Abend holt, Anita. Nicht sie wird mich an einen Tisch fesseln, mir die Kleidung öffnen und sich mir aufdrängen. Das wird Musette tun.«
»Du teilst inzwischen unser Bett; die Regeln besagen, dass sie dich nicht haben kann.«
»Aber sie spürt, dass es gelogen ist.«
»Daran kann ich jetzt nichts ändern.«
»Musette möchte gern, dass es gelogen ist, ma petite. Sie sucht nach etwas, das ihr mehr Raum zum Spielen verschaffen wird. Deine Zweifel und Ashers Zweifel verschaffen ihr den.«
Ich schloss die Augen und zählte langsam bis zehn. Als ich sie wieder öffnete, machten beide ein völlig ausdrucksloses Gesicht. Ich blickte quasi auf zwei grandiose lebensecht gemalte Porträts.
Ich drückte Jean-Claudes Hand, und er erwiderte es. »Kommt mir jetzt nicht so distanziert, Jungs, ich habe schon genug Probleme heute Abend.«
Sie blinzelten und wurden wieder lebendig. Schaudernd ließ ich Jean-Claudes Hand los. »Das ist so verstörend«, sagte ich.
»Pourquoi, ma petite?«
»Warum. Er muss mich tatsächlich fragen, warum.« Kopfschüttelnd verschränkte ich die Arme unter der Brust. Durch den Push-up-BH kein Problem.
Damian trat durch die Vorhänge. Seine roten Haare leuchteten über dem Creme und Gold seiner historischen Kleidung. Mit der Kniehose, den weißen Strümpfen und den hochhackigen Schnallenschuhen eines Adligen aus dem siebzehnten Jahrhundert sah er aus, als wäre
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