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Finsteres Verlangen

Finsteres Verlangen

Titel: Finsteres Verlangen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laurell K. Hamilton
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ansehen. Und dafür würde ich ihn hassen. Ich wollte Richard nicht hassen.
    Ich wandte den Blick ab. Er sollte meine Sehnsucht, meine Trauer oder einen ersten Anflug von Hass in meinem Gesicht nicht sehen.
    Dann spürte ich ihn neben mir, bevor er mich berührte. Überrascht sah ich zu ihm auf. Seine Miene war undurchdringlich. Aber er bot mir seinen Arm. Ich zögerte wie bei Jean-Claude auch, dann hakte ich mich langsam unter. Er legte seine Hand – so warm, so fest – auf meine und drückte sie auf seinen muskulösen Unterarm.
    Ich senkte den Blick, damit er nicht sah, wie sehr es mich bewegte. Wir schirmten uns alle mordsmäßig ab, um unsere Gedanken für uns allein zu haben.
    Richard und Jean-Claude wechselten über meinen Kopf hinweg einen Blick. Keine Ahnung, was er besagte. Eigentlich albern, vielsagende Blicke zu wechseln, wenn man ein Triumvirat bildet und nur die Verbindungsstellen zu öffnen braucht. Dann hätten wir jeden Gedanken des anderen sofort mitgekriegt. Doch dies war das erste Mal seit Monaten, dass Richard an unserer Seite war. Da waren wir wohl alle drei vorsichtig.

50
    B elle kniete über Asher gebeugt, als küsste sie ihn. Dabei vermied sie jeden weiteren Körperkontakt, stützte eine Hand am Boden auf, die andere an die Wand. Der Kuss wirkte sehr intim, obwohl sie peinlich darauf bedacht war, ihn nicht mehr zu berühren als unbedingt nötig.
    Ich hätte die Kräfte spüren müssen, die sie ihm einflößte, aber ich schirmte mich zu stark ab. Ich beherrschte das nicht gut genug, um es nur selektiv zu tun, also kam gar nichts an mich heran. Aber ich wollte wissen, was sie da genau machte. Ich wollte spüren, ob der schwache Funke in Asher kräftiger wurde.
    Ich öffnete mich nur minimal, gerade so viel, dass ich nach dem Funken tasten konnte.
    Sofort schmeckte ich Ashers Kuss im Mund. Der Funke war zur Flamme geworden, zu einer kalten Flamme, die seinen Körper füllte, und dennoch flößte Belle ihm weiter Energie ein. Asher sandte einen Schrei in meinen Kopf, von dem ich taumelte und gestürzt wäre, wenn Richard und Jean-Claude mich nicht aufgefangen hätten.
    »Anita, was ist los?«, fragte Richard.
    »Ma petite, geht es dir gut?«
    Ich hatte keine Zeit für Erklärungen. Ich machte mich von den beiden los, was sie widerstandslos geschehen ließen, und packte Belle an Schulter und Haaren, um sie von Asher wegzureißen. Es war ein Augenblick des Erschreckens, als ich statt Belles welliger Haare, Musettes Korkenzieherlocken in die Finger bekam. Belle war schließlich nicht körperlich da. Sie war keine Illusion, aber auch nicht physisch vorhanden.
    Ich schleuderte sie beiseite, dass sie auf dem glatten Stoff von Musettes Kleid über den Boden rutschte, und ihre Stimme hallte durch den Raum: »Wie kannst du es wagen, mich anzufassen?«
    »Du versuchst, ihn wieder an dich zu binden wie früher. Er will nicht an dich gebunden werden.«
    »Ohne die Kräfte, die ich ihm einhauche, wird er sterben.« Sie sah sich um, als erwartete sie, dass ihr jemand aufhalf. Die Einzigen, die dazu bereit gewesen wären, wurden von unseren Leibwächtern festgehalten, und kein anderer rührte einen Finger für sie. Schließlich stand sie allein auf, ohne dass sie irgendwo nach Halt greifen konnte, und mit ihrem altmodischen Korsett wirkte das alles andere als elegant. Wie schön, dass es Kleidungsstücke gibt, in denen selbst ein Vampir ungeschickt aussieht.
    Belle funkelte mich an. »Ohne mich wird Asher sterben. Sieh ihn dir an, sieh, was von ihm übrig ist. Das reicht nicht zum Überleben.«
    Er hatte wieder ein wenig Fleisch unter der Haut, aber es war wirklich nicht viel. Ich glaubte, jeden Muskel, jede Sehne einzeln zu sehen wie auf einer Lehrtafel für Anatomie. Dabei sah er noch nicht aus wie ein Mensch. Die Haare waren noch strohig, die Haut wie Pergament an einer abgemagerten Gestalt. Doch die Augen sahen menschlich aus, von dem ungewöhnlichen Hellblau abgesehen.
    In den Augen sah ich Asher. Gefangen in dieser fragilen, halb toten Hülle, blickte er mich an, und ich fühlte das Gewicht all dessen, was er war, in diesen Augen.
    »Blut könnte sein Leben retten«, sagte Belle, »doch es wird ihm nicht zurückgeben, was er verloren hat. Nur sein Schöpfer oder der, der ihm die Lebenskraft entzogen hat, kann es ihm zurückgeben.« Sie stand da mit dem dunklen Leuchten in Musettes Augen. Sie fügte nicht hinzu, dass sie sowohl Ashers Schöpferin war als auch die, die ihm die Lebenskraft entzogen hatte.

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