Finsteres Verlangen
Seide hatte ich an ihm bisher noch nie gesehen: ein lebhaftes Blau zwischen Marine- und Königsblau. Es hob seine dunkelblauen Augen intensiv hervor. Sein Gesicht war so makellos wie immer. Atemberaubend. Er sah aus wie der Held erotischer Träume, zu schön, um echt, zu sinnlich, um ungefährlich zu sein.
Mir schlug das Herz im Hals. Ich wollte mich auf ihn stürzen, mich um ihn schlingen. Seine schwarzen Locken sollten über meinen Körper gleiten. Ich wollte ihn. Ich wollte ihn fast immer, aber heute Nacht WOLLTE ich ihn. Bei allem, was gerade los war und noch passieren würde, konnte ich an nichts anderes denken als an Sex, Sex mit Jean-Claude.
Er glitt auf mich zu, aber ich hob abwehrend die Hand, damit er mich nicht anfasste. Wenn er mich auch nur mit dem Finger antippte, konnte ich für nichts mehr garantieren.
Er schaute verwirrt, und ich hörte seine Stimme in mir fragen: »Was hast du, ma petite?«
Ich selbst hatte diesen Verständigungstrick noch nicht gut drauf, darum machte ich erst gar keinen Versuch. Stattdessen hob ich die linke Hand und deutete auf meine Uhr. Es war zehn vor zwölf.
Wie Cinderella musste ich jeden Abend um Mitternacht zu Hause sein. Meinen Kollegen im Büro hatte ich gesagt, das sei quasi meine Mittagspause, und tatsächlich bekam ich sogar manchmal etwas zu essen. Aber eigentlich ging es nicht darum, etwas in den Magen zu bekommen. Nein, es ging um die tieferen Körperregionen, eindeutig um die tieferen.
Jean-Claude riss die Augen auf. »Ma petite, bitte sag mir, dass du die Ardeur bereits befriedigt hast.«
Ich zuckte die Achseln. »Vor zwölf Stunden.« Ich flüsterte gar nicht erst; die Vampire hinter dem Vorhang hörten es sowieso. Und ich würde auch die Ardeur nicht vor ihnen verbergen können. Ich war Jean-Claudes menschlicher Diener, und die Ardeur war eine der Nebenwirkungen. In einer früheren Epoche hätte man ihn als Inkubus bezeichnet, weil er sich von Lust ernähren konnte. Und nicht nur das, er konnte auch anderen das Verlangen nach ihm eingeben. Immerhin eine Möglichkeit, eine schlichte Notwendigkeit in etwas Angenehmes umzuwandeln. Im Notfall konnte er ein paar Tage auf Blut verzichten und sich von reiner Lust ernähren. Es war sehr selten, dass ein Vampir über eine solche weitere Kraft verfügt. Damians Herrin hatte sich von Angst ernähren können. Darum nannte man sie einen Nachtmahr.
Belle Mortes Gabe war die Ardeur. Sie hatte sie jahrhundertelang eingesetzt, um Fürsten und Könige zu beeinflussen. Jean-Claude gehörte zu den wenigen ihrer Blutlinie, die diese besondere Kraft geerbt hatten. Und meines Wissens war ich der einzige menschliche Diener, der sie hatte.
Wenn die Ardeur zum ersten Mal in einem Vampir erwacht, wird er völlig davon beherrscht. Es ist genau wie beim ersten Blutdurst. Dann lernt er nach und nach, sie zu kontrollieren. Jedenfalls in der Theorie. Seit ich sie hatte, wehrte ich mich mächtig dagegen, damit ich sie nur alle zwölf Stunden befriedigen musste. Dazu war nicht unbedingt Geschlechtsverkehr nötig, aber sexuelle Berührung. Die alten Geschichten über Sukkuben und Inkuben, die Menschen zu Tode liebten, waren wahr. Ich durfte mich nicht jedes Mal am selben Mann sättigen. Micah hatte sich mir angeboten. Und Jean-Claude hatte jahrelang darauf gewartet, die Ardeur mit mir gemeinsam zu befriedigen, obgleich er davon ausgegangen war, dass nur er die Sättigung nötig haben würde. Ich war gezwungen gewesen, Nathaniel, einen meiner Werleoparden, quasi zu meinem Pomme de sang zu machen. Das war mächtig peinlich, aber immer noch besser, als wildfremde Leute zu belästigen, denn das konnte durchaus vorkommen, wenn man sich gegen die Ardeur wehrte. Sie war eine harte Meisterin, genau wie Belle Morte.
Also hatte ich eigentlich vorgehabt, um Mitternacht nach Hause zu Micah zu fahren, stattdessen war ich nun im Zirkus. Nicht unbedingt eine Katastrophe, da Jean-Claude jederzeit bereit war, doch leider hatten wir große böse Vampire zu Besuch, und die würden bestimmt nicht warten, bis wir mit dem Sex fertig waren. Ich hatte so eine Ahnung, dass Musette darauf keine Rücksicht nehmen würde.
Das Problem war, dass die Ardeur auch keine Rücksicht kannte.
Die Männer standen in dieser O-mein-Gott-Stille herum, und wir alle sahen Jean-Claude an, damit er das Problem löste. »Was sollen wir tun?«, fragte ich.
Einen Moment lang schaute er ratlos, dann lachte er dieses fühlbare, liebkosende Lachen. Mich überlief es wohlig, und ich
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