Finsterherz
Zügel lagen lose um seinen Hals. Jemand hatte Heu auf den Boden geschüttet, damit es fressen konnte.
»Dein Pferd wird sich irgendwann davonmachen«, bemerkte sie.
König blickte über die Schulter. »Was, Razor?«
Das Pferd hob den Kopf und spitzte die Ohren, als es seinen Namen hörte. Da aber klar war, dass es nicht gebraucht wurde, fuhr es gleich wieder fort zu fressen.
»Das glaube ich nicht«, sagte König.
Katta spürte die Hitze des Feuers auf ihrem Gesicht. Ihr Rock war immer noch nass vom Ritt durch den Fluss. Der Stoff begann in der Wärme zu dampfen. Sie merkte, wie sehr sie fror und wie hungrig sie war.
»Was willst du?«, fragte sie.
»Ich will, dass du mir erzählst, worum es hier geht«, antwortete er.
Er sagte es so, als bliebe ihr gar nichts anderes übrig, und das ärgerte sie.
»Ich muss dir gar nichts erzählen«, entgegnete sie. Ihre Worte hatten herausfordernd klingen sollen, aber selbst in ihren eigenen Ohren klangen sie bockig.
»Wenn du es mir erzählst, werden die Leute hier sich um euch beide kümmern, bis es dem Jungen besser geh t – und darin sind sie sehr gut, glaub mir. Wenn nich t …«, er zuckte die Schultern, »bringe ich dich einfach dahin zurück, wo ich dich gefunden habe.«
Sie sah sofort, dass sie nicht die geringste Chance hatte. Selbst wenn sie lo g – was hätte sie ihm erzählen sollen? Sonderlich viel gab es ohnehin nicht zu berichten. Aber dieses Wenige wollte er unbedingt wisse n – und es musste immerhin so viel wert sein, dass jemand auf die Idee kommen könnte, es für sich zu behalten.
»Wer garantiert mir, dass du uns nicht trotzdem zurückbringst?«, fragte sie.
»Niemand. Aber du hattest Recht mit dem, was du vorhin im Wald gesagt hast. Der Junge könnte tatsächlich etwas wert sein. Wie viel, hängt ganz von dem ab, was du mir erzählst und was ich herausfinde. Aber wenn du schweigst, ist er auch nichts wert. Ausgenommen der Mühe, die es macht, euch dorthin zurückzubringen, wo ich euch gefunden habe. Und ich glaube nicht, dass du das wirklich willst.« Er blickte sie herausfordernd an.
Katta sah an König vorbei ins Feuer. Vor ihrem inneren Auge sah sie immer noch, wie der Zwerg auf Mathias hockte und ihn quälte, sah den Mann mit dem Mondgesicht und dem silberbeschlagenen Gehstock. Nein, sie wollte nicht zurück.
»Es gibt nicht viel zu erzählen«, sagte sie.
»Umso weniger gibt es dann einen Grund, etwas zu verschweigen«, erwiderte König.
Das Stück Papier
Es war schwer zu sagen, welche dunklen Träume im Schlaf durch Mathias’ Kopf spukten, aber es waren viele. Manchmal rief er etwas, aber Katta wurde nicht schlau aus seinen Worten. Er fühlte sich jetzt heiß und fiebrig an und redete wirres Zeug. Die Köhlerin saß neben ihm und schüttete etwas Flüssigkeit auf ein Tuch und hielt es ihm vors Gesicht, damit er es einatmete. Die Tinktur war tintenschwarz und roch bitter wie Wermut. Mit demselben Tuch wischte die Frau Mathias anschließend das Gesicht ab.
Katta wusste nicht, ob er geheilt oder vergiftet wurde, aber sie konnte so oder so kaum etwas tun. Sie stand bei der Tür und schaute zu. Ein oder zwei Mal lugten Köhlerkinder herein, um sich den Jungen mit den Messerwunden anzusehen, doch Katta starrte sie mit einem so tiefen, unversöhnlichen Hass an, dass sie zurückwichen und nicht wiederkamen.
Sie hatte König alles erzählt, was sie gesehen und getan hatte. Er hatte ihr zugehört, ohne sie ein einziges Mal zu unterbrechen, und sie war sich nicht sicher, ob er ihr glaubte, aber es interessierte sie auch nicht. Danach war er auf das große Pferd gestiegen. Bevor er ging, hatte er in der Köhlersprache noch ein paar Worte zu der Frau gesagt, die Mathias pflegte, und sie hatte genickt. Katta wusste nicht, was er gesagt hatte, konnte es sich aber denken. Als sie sich einmal vor die Tür der Hütte gestellt hatte, hatte die Köhlersfrau sie sofort wieder hereingerufen. Einer der Männer auf der Lichtung hatte, als er Stimmen hörte, von der Arbeit aufgeschaut und Katta so lange nicht aus den Augen gelassen, bis sie tat, wie ihr geheißen war. Falls sie je daran gedacht hatte, sich durch den Wald davonzumachen, so hatte sie dieses Erlebnis eines Besseren belehrt.
Außerdem war da noch der Junge.
Sie konnte also nichts weiter tun, als darauf zu warten, dass König zurückkehrte und Mathias aufwachte. Warten gehörte nicht zu ihren Stärken. Im Gasthaus hatte sie den ganzen Tag arbeiten müssen; jede einzelne Minute war
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