Finsterherz
freundliche Begrüßung und Katta schloss daraus, dass dies der Name des Mannes sein musste, der sie hergebracht hatte. Jetzt betrachtete der Köhler Mathias, der halb in Königs Mantel eingewickelt war. Nachdem sein Blick von dem Jungen zurück zu König gewandert war, streckte er sich und hob Mathias mit beiden Händen behutsam vom Pferd. König glitt aus dem Sattel und folgte dem Mann in eine der Hütten. Katta saß noch auf Königs Pferd. Sie schwang ein Bein über den Pferderücken und sprang hinunter. Ein paar Kinder, die vor den Hütten gestanden hatten, starrten sie an. Sie starrte zurück und spuckte aus. Sie war einmal in eine Prügelei mit Köhlerkindern, deren Weg am Gasthaus vorbeigeführt hatte, verwickelt gewesen. Es war lange her, aber Katta hatte ihnen nicht verziehen, was sie getan hatten. Denn die Köhlerkinder waren der Grund, weshalb sie die gepolsterte Haube tragen musste.
Und dabei war nicht einmal sie es gewesen, die angefangen hatte, sondern die Stallburschen. Ihnen kam jede Schlägerei recht. Aber Katta stand immerhin am Rand und schaute begeistert zu, klatschte in die Hände und johlte. Die Keilerei artete so aus, dass Männer aus dem Gasthaus herausgelaufen kamen, um die Kämpfenden voneinander zu trennen. Dann warf einer der Köhlerjungen einen Stei n – einen großen Stein, ungefähr so groß wie ein Gänseei. Katta hatte beobachtet, dass der Junge sich die ganze Zeit im Hintergrund gehalten hatte, als traute er sich nicht, näher heranzugehen. Jetzt sah sie, wie er sich bückte, einen Gegenstand aufhob und ihn warf. Seine Flugbahn verlor sie jedoch im Gedränge aus den Augen. Da traf sie auf einmal etwas seitlich am Kopf und die ganze Welt zersprang in kleine bunte Lichtsplitter. Plötzlich lag sie auf den Knien. Wohin sie auch blickte, zerfiel alles in grell leuchtende Farben.
Niemand hatte etwas mitbekommen. Die Leute aus dem Gasthaus versuchten immer noch, die Streithähne voneinander zu trennen; auf Katta achtete keiner. Doch plötzlich war ihr nicht gut und sie wollte nicht mehr zuschauen. Langsam, fast ohne zu wissen, wo sie sich befand, ging sie zurück ins Gasthaus, die Farben pulsierten vor ihren Augen. Sie hatte Leute reden hören, doch ihre Stimmen waren tief und gedämpft, so als unterhielten sie sich hinter einer Mauer. Jemand drückte ihr ein Tablett in die Hand, doch es glitt ihr einfach aus den Fingern. Sie sah zu, wie es langsam wie eine Feder zu Boden segelte. Dann hob sich der Boden und kam auf sie zu.
Seit jenem Tag hatte Katta ein kleines Loch im Kopf, dort wo der Knochen eingedrückt worden war. Niemand konnte etwas dagegen tun. Gewöhnlich beeinträchtigte es sie nicht. Aber manchmal schon. Dann begannen ohne jede Vorwarnung tanzende Linien aus kleinen Farbpünktchen vor ihren Augen zu flackern und sie fand sich auf dem Boden wieder, ohne zu wissen, wie sie dort hingekommen war. Oft machte sie sich dabei nass oder Schlimmeres und ihr Rock war schmutzig und stank. Wenn niemand da war, der ihr helfen konnte, biss sie sich ein Loch in die Zunge. Wegen dieser Anfälle musste sie die Haube tragen, die ihren Kopf schützte, wenn sie fiel. Sie wusste nie, wann es geschehen würde. Sie saß einfach plötzlich auf dem Boden und da wusste sie, dass es wieder passiert war. Dann weinte sie, weil das ihr ganzes Leben lang so weitergehen würde, und schuld daran waren nur der Köhlerjunge und sein Stein.
Deshalb hatte sie nichts übrig für dreckige Köhler und erst recht nicht für ihre dreckigen Kinder. Als sie da so stand, fragte sie sich, ob die Kinder hier dieselben waren, die damals bei der Schlägerei mitgemacht hatten. Der Gedanke ließ sie erschaudern. Wenn es tatsächlich so war, würde sie ihnen die Augen auskratzen.
Sie bückte sich und hob einen Stein auf, warf ihn dann aber doch nicht. Stattdessen ging sie mit erhobenem Kopf zu der Hütte, in die Mathias gebracht worden wa r – den Stein, scharfkantig und schwer, hielt sie noch in der Hand. Jetzt hatte sie für den Notfall wenigstens eine Waffe. Und wer konnte wissen, ob sie diese nicht bald brauchen würde?
In der Tür blieb sie stehen. Einen Augenblick lang konnte sie nichts erkennen. Dann gewöhnten sich ihre Augen an das Dämmerlicht. Es war eng in der Hütte. Man hatte Mathias auf ein grob zusammengezimmertes Bett mit einer Decke geleg t – es gab ohnehin nur eines. Von der Decke hingen Pfannen und andere Gegenstände, die Katta nicht erkennen konnte. Eine Frau hielt sich im Raum auf, ihr faltiges
Weitere Kostenlose Bücher