Finsterherz
Köhlersfrau füllte eine Schüssel mit heißer Brühe und stellte sie auf den kleinen Tisch. Sie riss einen Laib Brot in der Mitte auseinander und gab ihm die eine Hälfte. Erst als er auch noch den letzten Rest verzehrt hatte, schob er die Schale beiseite und begann zu reden.
»Wer ist Doktor Häller?«, fragte er.
Mathias schaute Katta an. Sie schüttelte kaum merklich den Kopf.
»Ich weiß es nicht«, antwortete er.
»Er scheint dich zu kennen«, sagte König. »Er hat im Wirtshaus Geld hinterlassen als Belohnung für denjenigen, der dich aufspürt. Ziemlich viel Geld sogar.«
»Und deshalb bringst du ihn jetzt zurück«, sagte Katta und ihre Stimme war voller Verachtung.
König lächelte. »Nein. Dafür ist die Summe, die Häller auf ihn ausgesetzt hat, nicht annähernd hoch genug. Bei dem Erdrutsch im Tunnel sind alle meine Waren verschüttet worde n – ich war dort und hab mir den Schaden angesehen. Es ist unmöglich, sie auszugraben. Und selbst wenn es möglich wäre, würden sie mir nichts mehr nützen. Beschädigte Ware kann ich nicht mehr mit Gewinn verkaufen.« Er schüttelte den Kopf. »Nein, um diesen Verlust auszugleichen, müsste Hällers Belohnung sehr viel höher sein.«
»Um wie viel höher?«, fragte Katta.
Sie wusste, was König vorhatte. Er würde Hällers Belohnung so weit wie möglich in die Höhe treiben und Mathias dann dafür verkaufen.
Doch er schüttelte wieder den Kopf und blickte sie mit glänzenden, klugen Augen an. »Das ist die falsche Frage«, sagte er. »Die Frage müsste lauten: Warum will dieser Häller unseren jungen Freund überhaupt zurückhaben? In den Ställen geht das Gerücht, dass er dem Mann etwas gestohlen habe und ihr zusammen abgehauen wärt. Was hat er also gestohlen, das so viel Mühe wert sein könnte?«
»Ich habe nichts gestohlen«, meldete sich Mathias.
»Es ist ein Stück Papier«, sagte die Köhlersfrau leise. »Das Mädchen hat es in seiner Schürzentasche.«
Erst jetz t – zu spä t – merkte Katta, dass die Frau jedes Wort, das sie miteinander gesprochen hatten, verstanden hatte: jedes Wort, die ganze Zeit über. Sie war von einer dreckigen, stinkenden Köhlerin getäuscht worden. Sie dachte keine Sekunde nach, sondern machte einen Satz auf die Frau zu, ihre Finger krümmten sich zu Krallen, mit denen sie nach dem Gesicht der Köhlerin schlug, doch König erwischte sie und hielt sie zurüc k – zu ihrem Glück, denn die Frau hatte, schnell wie eine Schlange, nach dem kleinen, scharfen Messer gegriffen. König stieß Katta unsanft von sich.
»Tashka hat nur getan, worum ich sie gebeten hatte«, sagte er. »Und sie hat dir zu essen gegeben und sich um deinen Freund gekümmert. Ohne sie wäre er tot. Deshalb bleibst du von ihr weg und hältst den Mund.«
Sie wusste, dass er Recht hatte, aber sie würde es nie zugeben vor ihm, einem Dieb, der noch dazu die Köhlerin beauftragt hatte, sie auszuspionieren. Deshalb hielt sie seinem Blick stand und spuckte die Frau an.
Das war ein Fehler. Die pechschwarzen Augen der Frau funkelten wild, als sie auf Katta zukam, das Messer zwischen Daumen und Zeigefinger. König streckte die Hand aus und legte sie der Frau auf den Arm. Sie blieb sofort stehen. Er ließ seine Hand auf ihrem Arm liegen, griff mit der anderen nach Katta und sagte langsam, damit es keinerlei Missverständnisse geben konnte: »Tu das nie wieder, sonst bringt sie dich um, und ich kann es nicht verhindern. Sie wird einfach warten, bis ich weg bin, und wenn du dann noch hier im Lager bist, bringt sie dich um. Hast du das verstanden?«
»Gib ihm das Papier«, sagte Mathias. »Es macht mehr Ärger, als es wert ist.«
Katta blickte Mathias an, dann die Frau mit dem harten Gesicht, und ihr Mund war plötzlich staubtrocken.
»Bitte«, sagte Mathias.
Langsam steckte Katta die Hand in ihre Schürzentasche. Sie spürte die scharfe Kante des Steins, der hart und schwer war. Sie sah erst König an, dann wieder die Frau. Aber sie hatte keine Wahl. Sie ließ den Stein durch ihre Finger gleiten, zog das zusammengerollte Stück Papier heraus und gab es König. Er nahm es, während die Frau zurücktrat und das Messer weglegte.
Vorsichtig löste König ein Ende des Papierstreifens, rollte ihn dann dort auf, wo das Licht von der Tür auf den Tisch fiel, und strich ihn mit den Händen glatt. Eine Weile schwieg er. Dann blickte er zu Mathias hinüber.
»Sag mir, was du über dieses Papier weißt«, sagte er. »Wem gehört es?«
»Es hat meinem
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